Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Vater, als sie zum Haus gingen.
»Das gehört zu den stärksten Eindrücken meiner Kindheit. Weißt du übrigens, wie ich all die seltsamen Figuren genannt habe, die deine Bilder gekauft haben?«
»Das waren Hausierer – Kunsthausierer.«
»Ich weiß. Aber für mich waren sie Ritter in seidenen Anzügen. Ich habe sie Seidenritter genannt.«
Der Vater blieb stehen und sah ihn an. Dann lachte er lauthals. »Ein guter Name. Genau das waren sie. Ritter in Seidenanzügen.«
An der Treppe verabschiedeten sie sich.
»Willst du es dir nicht doch noch überlegen?« fragte Gertrud. »Das Essen reicht für drei.«
»Ich muß zur Arbeit. Leider.«
Er fuhr durch die düstere Herbstlandschaft nach Ystad zurück und versuchte herauszufinden, warum er sich in der Art des Vaters selbst wiedererkannte.
Er kam zu keinem Ergebnis. Jedenfalls glaubte er das.
Als Wallander am Freitag morgen, dem 5. November, kurz nach sieben Uhr das Polizeigebäude betrat, fühlte er sich ausgeschlafen und voller Tatendrang. Er holte sich eine Tasse Kaffee |192| und nutzte die folgende knappe Stunde, um die Besprechung der Ermittlungsgruppe vorzubereiten, die Punkt acht Uhr beginnen sollte. Er ordnete alle Fakten chronologisch, entwickelte ein Schema und versuchte, daraus das weitere Vorgehen abzuleiten. Dabei berücksichtigte er, daß seine Kollegen möglicherweise am vergangenen Tag neue Erkenntnisse gewonnen hatten.
Das Gefühl, unter Zeitdruck zu stehen, hatte sich eher noch verstärkt. Gleichzeitig wuchsen die Schatten hinter den toten Anwälten und wurden immer furchteinflößender.
Er legte den Stift zur Seite, lehnte sich zurück und schloß die Augen.
Nun war er wieder in Skagen. Vor ihm lag der Strand, in Nebel gehüllt. Auch Sten Torstensson war da, und Wallander versuchte, im Hintergrund die Menschen zu erkennen, die seinem Freund zum Treffen mit dem krank geschriebenen Polizisten gefolgt waren. Sie mußten ganz in der Nähe gewesen sein, irgendwo zwischen den Dünen versteckt.
Er erinnerte sich an die Frau, die ihren Hund ausgeführt hatte. War sie es gewesen? Oder die Serviererin im Café des Kunstmuseums? So einfach war es wohl nicht. Aber jemand hatte im Nebel gelauert, dessen war er sicher.
Er sah auf die Uhr. Gleich würde er sich mit den Kollegen treffen. Er nahm seine Unterlagen, stand auf und verließ den Raum.
An diesem Vormittag, nach vier Stunden Besprechung, merkte Wallander, daß sie die Wand durchbrochen hatten. Endlich schien sich ein Muster abzuzeichnen, wenn auch noch sehr unklar. Sie wußten noch nicht, in welche Richtung sie ihren Verdacht lenken sollten. Aber sie waren sich einig, daß sie keiner zufälligen Serie von Ereignissen gegenüberstanden. Als allgemeine Müdigkeit herrschte und Svedberg über Kopfschmerzen zu klagen begann, formulierte Wallander in seiner Zusammenfassung das, was alle fühlten: »Jetzt geht es darum, in dieser komplizierten und sicherlich gefährlichen und langwierigen Ermittlung keine Fehler zu machen. Auf eine vergrabene |193| Mine sind wir bereits gestoßen. Es kann weitere geben, um es einmal symbolisch auszudrücken.«
Vier Stunden lang hatten sie also das vorliegende Material gesichtet und ausgewertet. Sie waren ins Detail gegangen, hatten jede Einzelheit von verschiedenen Seiten interpretiert und sich schließlich auf eine Version geeinigt. Das war ein entscheidender Moment der Ermittlung, einer der kritischen Augenblicke. Nun kommt die Zeit der provisorischen Gedankengebäude, dachte Wallander. Wir basteln eine Unmenge von Modellen zusammen und müssen uns davor hüten, sie allzu schnell wieder auseinanderzunehmen.
Diese Modelle, diese Probebauten, hatten alle das gleiche Fundament.
Es war fast ein Monat vergangen, seit Gustaf Torstensson an jenem späten Abend draußen auf dem Lehmacker in der Nähe von Brösarps Backar umgekommen war. Es war zwölf Tage her, seit Sten Torstensson Wallander in Skagen besucht hatte. Kurz darauf war er in seinem Büro ermordet aufgefunden worden. Auf diese Ausgangspunkte kamen sie immer wieder zurück.
Der erste, der an diesem Morgen seinen Bericht abgab, war Martinsson, unterstützt von Nyberg: »Wir haben von den Kriminaltechnikern Bescheid bekommen wegen der Waffe und der Munition, mit der Sten Torstensson getötet wurde. Hier ist zumindest eine Sache, die wichtig sein könnte.«
Triumphierend wedelte Martinsson mit dem Hefter, während Nyberg fortfuhr: »Sten Torstensson wurde von drei Kugeln Kaliber 9 mm
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