Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
jederzeit noch größere Truppen aufmarschieren lassen. Es ist immer leichter, eine geschickt konstruierte Lüge zu verteidigen, als eine schemenhafte Wahrheit zu erobern.«
Sie folgte seinen Ausführungen mit, wie es ihm schien, echtem Interesse. Er hatte geredet, um für sich selbst eine Position zu formulieren. Aber er konnte nicht leugnen, daß er auch darauf aus war, sie zu beeindrucken. Er war schließlich der erfahrene Polizist, während sie sich als blutige Anfängerin zu betrachten hatte. Zweifellos begabt, aber Anfängerin.
»All das müssen wir tun«, schloß er, »aber wie schaffen wir es, ohne daß er etwas merkt?«
»Wir müssen die Ermittlung sozusagen andersherum aufziehen«, sagte sie.
|206| »Genau. Es muß so aussehen, als hätten wir an Alfred Harderberg nicht das geringste Interesse.«
»Was ist, wenn wir, ohne es zu merken, übertreiben?«
»Das darf nicht passieren. Also müssen wir noch eine weitere Botschaft vermitteln: Natürlich befassen wir uns auch mit Alfred Harderberg, aber das ist reine Routine.«
»Wie können wir sichergehen, daß er uns wirklich glaubt?«
»Das können wir nicht. Aber wir können eine dritte Flagge aufziehen und der Welt weismachen, wir hätten eine ernst zu nehmende Spur, die in eine bestimmte Richtung führt. Wir müssen Harderberg überzeugen, daß wir wirklich dieser falschen Fährte folgen.«
»Trotzdem wird er Fallen aufstellen.«
Wallander nickte. »Die müssen wir rechtzeitig entdecken. Wir werden seine Fallen und Ablenkungsmanöver durchaus zur Kenntnis nehmen. Wir werden intelligent, aber falsch darauf reagieren.«
Sie sah ihn nachdenklich an. »Wird Björk einverstanden sein? Was wird Per Åkeson sagen?«
»Das wird unser größtes Problem: uns selbst davon zu überzeugen, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Unser Polizeichef hat eine Stärke, die einen Teil seiner schwächeren Seiten aufwiegt. Er durchschaut nämlich, wenn wir selbst nicht an das glauben, was wir sagen oder was wir als Ausgangspunkte für unsere Ermittlung vorschlagen. Und das ist gut so.«
»Und wenn wir uns selbst überzeugt haben? Wo beginnen wir?«
»Dann geht es darum, im Nebel so geschickt in die Irre zu reiten, daß Harderberg daran glaubt. Wir müssen uns gleichzeitig in die richtige und in die falsche Richtung bewegen.«
Ann-Britt Höglund bat um eine kurze Pause, um einen Notizblock aus ihrem Büro zu holen. Wallander blieb still sitzen und lauschte auf das Gebell eines Polizeihundes, das aus einer Ecke des Gebäudes zu ihm drang. Als sie zurückkam, fiel ihm erneut auf, daß sie eine attraktive Frau war, wenn auch sehr blaß und mit dunklen Augenringen.
Noch einmal ordneten sie ihre Gedanken. Wallander |207| merkte, daß sie ihn inspirierte und sehr scharfsinnig war. Er hatte solche Gespräche seit Rydbergs Tod nicht mehr geführt. Es kam ihm vor, als wäre sein väterlicher Freund und Kollege zurückgekehrt, als würde er seine großen Erfahrungen nun durch diese blasse junge Frau zur Verfügung stellen.
Kurz nach zwei gingen sie gemeinsam hinunter auf den Hof des Polizeigebäudes. Es war sternenklar und schon kalt.
»Morgen haben wir eine lange Diskussion vor uns«, sagte Wallander. »Wir werden vielen Einwänden begegnen müssen. Ich werde vorher mit Björk und mit Per Åkeson reden. Vielleicht kann Per an der Besprechung teilnehmen. Wenn wir sie morgen nicht auf unsere Seite ziehen können, werden wir viel Zeit damit verlieren, für weitere Fakten zu sorgen, die sie überzeugen.«
Sie schien ehrlich erstaunt. »Sie müssen doch einsehen, daß wir recht haben.«
»Das ist nicht sicher.«
»Manchmal scheint die schwedische Polizei ein furchtbar träger Verein zu sein.«
»Um das zu erkennen, muß man nicht frisch von der Polizeihochschule kommen. Björk hat ausgerechnet, daß beim derzeitigen Anwachsen der reinen Administration die eigentliche Polizeiarbeit etwa im Jahr 2010 zum Erliegen kommt. Dann werden sämtliche Kollegen ausschließlich damit befaßt sein, sich gegenseitig Papiere zuzusenden.«
Ann-Britt Höglund lachte. »Vielleicht haben wir doch den falschen Beruf gewählt.«
»Nicht den falschen Beruf, aber vielleicht die falsche Lebenszeit.«
Am Samstag, dem 6. November, rief Wallander bereits kurz nach sieben Uhr bei Björk an. Frau Björk nahm ab und bat ihn, in ein paar Minuten wieder anzurufen, ihr Mann liege gerade in der Badewanne. Wallander nutzte die Zeit, um mit Per Åkeson zu telefonieren, der als Frühaufsteher bekannt
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