Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
zu klein für diese Sache.«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen«, sagte Per Åkeson. »Aber in diesem frühen Stadium, bevor wir eine grundlegende Untersuchung durchgeführt haben, würden uns die Spezialisten in Stockholm und Malmö wohl kaum Gehör schenken. Ich weiß nicht, ob euch klar ist, daß sie vielleicht noch überlasteter sind als wir. Wir sind unterbesetzt, aber bei |215| ihnen wird jeder Krankheitsfall zur Katastrophe. Bis auf weiteres müssen wir uns selbst um die Angelegenheit kümmern, so gut wir können. Aber ich werde versuchen, die Wirtschaftsfachleute schon jetzt zur Zusammenarbeit zu überreden. Wer weiß, vielleicht gelingt es mir.«
Für Wallander stand später fest, daß Per Åkesons Worte über die hoffnungslose Situation bei der Reichskripo ausschlaggebend waren. Die Ermittlungen würden sich auf Alfred Harderberg und seine Beziehungen zu Lars Borman und den toten Anwälten konzentrieren. Sie waren auf sich gestellt. Außerdem beschäftigte sich auch die Polizei von Ystad permanent mit Wirtschaftsdelikten. Aber diesmal ging es um ein größeres Kaliber, und sie wußten nicht einmal, ob die Morde wirklich etwas mit Harderbergs Unternehmen zu tun hatten.
Als Wallander einige Abende später einen Brief an Baiba Liepa in Riga schrieb, verwendete er die Bezeichnung
heimliche Jagd
für die Ermittlungen. Er schilderte die Operation keinesfalls als kopflos. Er hatte gespürt, daß seine Kollegen wie er selbst alles daran setzten, den Fall aufzuklären.
In jedem Polizisten steckt ein Jäger
, schrieb er.
Selten oder nie wird ins Horn gestoßen, wenn die Jagd beginnt. Und doch fangen wir bisweilen die Füchse, denen wir nachstellen. Ohne uns wäre der schwedische Hühnerhof seit langem ausgestorben und leer; nur blutige Federn würden noch im Herbstwind umhertreiben.
Mit anderen Worten, sie gingen voller Enthusiasmus an die Sache. Björk spornte sie an, mahnte aber immer wieder, daß nichts nach außen dringen dürfe. Per Åkeson hatte seine korrekte Haltung abgelegt und war ein Mitarbeiter unter anderen, wobei er jedoch keinen Zweifel an seiner Autorität als Leiter der laufenden Operation aufkommen ließ.
Aber eigentlich hatte Wallander das Zepter in der Hand. Durch eine kaum verdiente Rücksichtnahme seiner Kollegen hatte er die Möglichkeit, etwas von der Schuld zu sühnen, die er auf sich geladen hatte, als er Sten Torstenssons Hilferuf in Skagen ignoriert hatte.
Irgendwann in jener Zeit schrieb er einen weiteren Brief an Baiba Liepa, den er nie abschickte. Darin versuchte er, ihr und |216| damit auch sich selbst klarzumachen, was es eigentlich bedeutete, einen Menschen zu töten. Vor einem Jahr hatte er Schuld auf sich geladen, und nun wieder, indem er auf Sten Torstenssons Bitte um Hilfe nicht reagiert hatte. Er kam zu dem Ergebnis, daß Sten Torstenssons Tod ihn plötzlich mehr beschäftigte als die Geschehnisse auf dem nebligen Übungsgelände, umgeben von unsichtbaren Schafen.
Er verbarg seine Gefühle, seine Konflikte. In der Kantine kommentierten die Kollegen Wallanders Genesung und Wiederkehr, als hätte er gelähmt im Rollstuhl gesessen und wäre, als die Ermittlungsgruppe rief, urplötzlich auferstanden.
Martinsson, der seinen Zynismus manchmal nicht zügeln konnte, lästerte: »Was Kurt brauchte, war ein ordentlicher Mord. Kein Totschlag. Nein, ein richtiger Fall: zwei tote Anwälte, eine Landmine in einem Garten und eine asiatische Sprengladung im Benzintank, das war das Rezept, um ihn genesen zu lassen.«
Niemand zweifelte daran, daß Martinsson irgendwie recht hatte.
Die grundlegenden Vorarbeiten dauerten eine Woche. In dieser Zeit schliefen Wallander und seine Kollegen im Durchschnitt höchstens fünf Stunden pro Nacht. Später schien es ihnen, als hätten sie in dieser Woche bewiesen, daß auch eine Maus wie ein Elefant brüllen kann, wenn es darauf ankommt. Selbst Per Åkeson, der schwer zu beeindrucken war, mußte vor dieser Leistung den Hut ziehen.
»Das darf nicht herauskommen«, sagte er eines Abends zu Wallander, als sie zu später Stunde vor dem Polizeigebäude standen, um frische Herbstluft zu schöpfen und die Müdigkeit zu vertreiben. Wallander begriff zuerst nicht, was er meinte.
»Wenn die Reichspolizeiführung und das Justizministerium mitkriegen, was wir in der kurzen Zeit geschafft haben, werden sie eine Untersuchung anordnen und den Bürgern das sogenannte Ystadmodell präsentieren: Wie erreicht man mit minimalen Ressourcen maximale Ergebnisse.
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