Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Motive gibt; ich denke da an Raub oder Rache. Wir müssen |234| natürlich weiter unter ihren Klienten suchen, sollte sich die Spur, die nach Schloß Farnholm führt, als kalt erweisen. Aber jetzt werden wir uns auf Harderberg und Lars Borman konzentrieren. Wir hoffen, daß Ann-Britt wichtige Hinweise erhält, wenn sie mit der Witwe und den Kindern spricht.«
»Wird sie damit klarkommen?« fragte Svedberg.
»Warum sollte sie nicht?« meinte Wallander verwundert.
»Weil sie ziemlich unerfahren ist«, sagte Svedberg und wurde rot. »War ja nur eine Frage.«
»Ich glaube, sie wird ihre Aufgabe sogar bestens erledigen«, sagte Wallander. »Wenn es weiter nichts gibt, denke ich, daß wir jetzt wieder an die Arbeit gehen können.«
Wallander kehrte in sein Büro zurück. Eine Weile stand er gedankenverloren am Fenster. Dann setzte er sich an den Tisch und ging erneut das gesamte Material durch, das es bisher über die Person Alfred Harderbergs und sein Firmenimperium gab. Einiges verstand er nicht. Die verwickelten geschäftlichen Transaktionen – die Übernahme einer Firma durch eine andere, das komplizierte Spiel mit Aktien und Emissionen – er hatte das Gefühl, in eine Welt zu blicken, deren Gesetze er nicht kannte. Immer wieder versuchte er, Sven Nyberg zu erreichen, aber vergebens. Er verzichtete auf die Mittagspause und verließ das Polizeigebäude erst um halb vier. Nyberg hatte immer noch nichts von sich hören lassen. Wallander ahnte, daß er nach Schloß Farnholm fahren mußte, ohne zu wissen, wozu der Plastikbehälter gedient hatte. Durch den Sturm lief er zum Stortorg und aß an einem Kebabstand.
Als Wallander ins Polizeigebäude zurückkehrte, lag eine Nachricht von Schloß Farnholm auf seinem Tisch. Doktor Harderberg war bereit, ihn am selben Abend Punkt halb acht zu empfangen. Er ging auf den Flur, um Martinsson zu suchen. Sie mußten sich vorbereiten, festlegen, welche Fragen sie stellen und welche sie noch zurückhalten wollten.
Auf dem Gang traf er Svedberg, der aus seinem Zimmer kam. »Du sollst Martinsson zu Hause anrufen. Er ist vor einer Weile heimgefahren. Ich weiß nicht, warum.«
|235| Wallander ging in sein Büro zurück und wählte die Nummer. Martinsson war selbst am Apparat. »Tut mir leid, aber ich muß absagen. Meine Frau ist krank, und ich habe niemanden, der auf die Kinder aufpaßt. Kannst du nicht Svedberg mitnehmen?«
»Der ist eben fortgegangen; ich weiß nicht, wohin.«
»Tut mir wirklich leid.«
»Da kann man nichts machen; du mußt zu Hause bleiben. Ich werde schon irgendwie klarkommen.«
»Nimm doch Björk mit«, schlug Martinsson ironisch vor.
»Du hast recht«, antwortete Wallander ernsthaft. »Ich werde darüber nachdenken.«
Als er auflegte, stand sein Entschluß fest. Er würde Schloß Farnholm allein besuchen. Genau das war es, was er insgeheim gewollt hatte.
Meine größte Schwäche als Polizist, dachte er. Ich arbeite am liebsten allein. Aber mit den Jahren hat sich gezeigt, daß das nicht unbedingt eine Schwäche sein muß.
Um sich in Ruhe zu konzentrieren, verließ er das Polizeigebäude und fuhr aus der Stadt hinaus. Die Sturmböen ließen den Wagen schlingern. Wolkenfetzen jagten über den Himmel. Wieder fragte er sich, ob das Dach des Vaters in Löderup standhalten würde. Einen Augenblick lang vermißte er die Opernmusik, die er früher immer im Auto gehört hatte. Er hielt am Straßenrand und schaltete die Innenbeleuchtung ein. Aber er suchte vergebens; nirgendwo fand er eine seiner alten Kassetten. Erst da fiel ihm ein, daß er ja gar nicht in seinem Peugeot saß, sondern in einem geliehenen Wagen. Er fuhr weiter in Richtung Kristianstad. In Gedanken ging er noch einmal die Fragen durch, die er Alfred Harderberg stellen wollte, doch er merkte, daß er sich am meisten von der Begegnung selbst erhoffte. In den unzähligen Berichten, die er gelesen hatte, war kein einziges Foto des Schloßherrn, und von Ann-Britt Höglund wußte er, daß Harderberg extrem kamerascheu war. Während seiner wenigen öffentlichen Auftritte achteten Mitarbeiter darauf, daß nicht gefilmt oder fotografiert wurde. Eine Anfrage bei
Sveriges Television
hatte ergeben, daß auch das |236| Fernsehen über keinerlei Bildmaterial von Harderberg verfügte.
Wallander erinnerte sich an seinen ersten Besuch auf Schloß Farnholm. Damals hatte er geahnt, daß die Männer des großen Reichtums Stille und Abgeschiedenheit bevorzugten. Jetzt ergänzte er: Es waren geradezu unsichtbare
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