Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Schloß.
Wallander legte den Stift hin.
Alfred Harderberg, dachte er. Ein Seidenritter der neuen Zeit. Er steht im Hintergrund. Er fliegt um die Welt und geht seinen undurchschaubaren Geschäften nach, als befolge er Spielregeln, die nur Eingeweihte kennen.
Er las den Text aufmerksam durch. Nichts deutete darauf hin, daß Alfred Harderberg der Spielleiter war.
Es muß etwas sehr Großes sein, dachte Wallander. Wenn wir recht haben, wenn er wirklich hinter den Morden steckt, dann müssen Gustaf Torstensson und Lars Borman etwas entdeckt haben, was sein ganzes Imperium bedroht. Sten Torstensson hatte vermutlich keine Ahnung, worum es ging, aber er kam zu mir. Er ahnte, daß er überwacht wurde. Seine Verfolger konnten nicht riskieren, daß er sein Wissen verbreitete; auch Frau Dunér war eine Gefahr.
Es muß etwas sehr Großes sein, dachte er wieder. Etwas sehr Großes, was vielleicht in einen Plastikbehälter paßt, der an ein Kühlgefäß erinnert.
Wallander ging auf den Flur und holte Kaffee. Dann rief er seinen Vater an. »Es stürmt«, sagte er. »Dein Dach könnte weggerissen werden.«
»Das will ich sehen.«
»Wie bitte? Was willst du?«
»Ich will sehen, wie mein Dach über die Felder davonflattert. Das habe ich noch nie erlebt.«
»Ich hätte mich längst um eine Reparatur kümmern müssen«, sagte Wallander. »Ich lasse es noch vor dem Winter in Ordnung bringen.«
»Wer’s glaubt, wird selig. Das würde ja voraussetzen, daß du herkommst.«
|230| »Ich werde mir die Zeit nehmen«, sagte Wallander. »Hast du über den Vorfall in Simrishamn nachgedacht?«
»Was gibt es da nachzudenken? Ich habe getan, was zu tun war.«
»Niemand hat das Recht, einfach eine Prügelei zu beginnen.«
»Ich bezahle keine Geldstrafe, lieber gehe ich ins Gefängnis.«
»Das kommt gar nicht in Frage«, sagte Wallander. »Ich rufe dich heute abend wegen des Daches noch einmal an. Es soll Orkanböen geben.«
»Vielleicht klettere ich auf den Schornstein.«
»Um Himmels willen, warum denn das?«
»Mir ist nach einem kleinen Rundflug.«
»Du wirst dir den Hals brechen. Ist Gertrud nicht da?«
»Die nehme ich mit«, sagte der Vater und legte auf.
Wallander blieb reglos sitzen, den Hörer in der Hand.
Björk kam herein. »Wenn du telefonierst, will ich nicht stören.«
»Nein, nein.« Wallander legte auf.
»Von Martinsson habe ich gehört, daß es ein Lebenszeichen von Doktor Harderberg gibt«, begann Björk.
Wallander wartete auf eine Fortsetzung, die jedoch ausblieb.
»War das eine Frage? Wenn ja, dann bestätige ich Martinssons Aussage. Beziehungsweise ich korrigiere sie im Detail: Es war nicht Harderberg selbst, der angerufen hat. Er hält sich in Barcelona auf und wird im Laufe des Tages im Schloß erwartet. Ich habe auf einem Besuch am heutigen Abend bestanden.«
Björk kam endlich zur Sache. »Martinsson sagte auch, daß er dich begleiten würde. Ich frage mich, ob das angebracht ist.«
»Warum nicht?«
»Das soll nicht heißen, daß Martinsson nicht geeignet wäre. Ich dachte nur, daß ich selbst dabeisein sollte.«
»Warum das?«
»Weil Doktor Harderberg trotz allem nicht irgendwer ist.«
»Du kennst den Fall nicht so gut wie Martinsson und ich; |231| wir fahren schließlich nicht nach Schloß Farnholm, um einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.«
»Wenn ich mitkäme, hätte das möglicherweise eine beruhigende Wirkung. Darin waren wir uns doch einig; Doktor Harderberg sollte nicht beunruhigt werden.«
Wallander ärgerte sich, weil Björk offenbar mitfahren wollte, um darüber zu wachen, daß er, Wallander, sich ordentlich aufführte. Gleichzeitig mußte er Björk recht geben; Harderberg durfte keinen Verdacht schöpfen.
»Ich verstehe deinen Gedanken«, sagte er. »Aber damit könnten wir das Gegenteil erreichen. Es erregt doch gerade Aufsehen, wenn der Polizeichef persönlich an einer routinemäßigen Befragung teilnimmt.«
»Ich meinte ja nur.«
»Wir werden das schon schaffen, Martinsson und ich«, sagte Wallander und stand auf. »Ich glaube, unsere Besprechung fängt gleich an.«
Auf dem Weg zum Konferenzraum nahm sich Wallander vor, es irgendwann in seinem Leben zu schaffen, aufrichtig zu sein. Er hätte Björk die Wahrheit sagen müssen, daß er ihn einfach nicht dabeihaben wollte, daß er seine Unterwürfigkeit gegenüber Alfred Harderberg nicht akzeptieren konnte. Er ahnte, daß Björks Verhalten mit den Spielregeln der Macht zusammenhing, über die er bisher kaum nachgedacht hatte.
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