Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
»Kann ein Polizist wirklich einfach so bestimmen, was Doktor Harderberg zu tun hat?«
|227| Kühn ging Wallander noch einen Schritt weiter. »Dazu genügt ein kurzes Gespräch mit dem Staatsanwalt.«
Im selben Moment sah er seinen Fehler ein. Sie hatten sich darauf geeinigt, vorsichtig vorzugehen. Alfred Harderberg sollte Fragen beantworten. Aber genauso wichtig war es, ihn zu überzeugen, daß sie sich rein routinemäßig für ihn interessierten. So beeilte er sich, den entstandenen Eindruck abzuschwächen: »Doktor Harderberg ist natürlich in keiner Weise verdächtig. Unsere Ermittlungen machen es aber unumgänglich, schnellstens mit ihm zu reden. Ich bin überzeugt, daß ein so prominenter Mann der Polizei gern bei der Aufklärung eines schweren Verbrechens behilflich ist.«
»Ich werde mit ihm in Verbindung treten«, wiederholte Jenny Lind.
»Ich danke für Ihren Anruf«, sagte Wallander, bevor er auflegte.
Ihm war ein Gedanke gekommen. Mit Ebbas Hilfe trieb er Martinsson auf und bat ihn, im Büro vorbeizuschauen. »Alfred Harderberg hat von sich hören lassen«, sagte er, als sein Kollege vor ihm saß. »Er hält sich in Barcelona auf und kommt heute nach Hause. Ich habe die Absicht, Ann-Britt mitzunehmen und ihm heute abend einen Besuch abzustatten.«
»Sie ist zu Hause geblieben, weil ein Kind krank ist«, sagte Martinsson. »Hat gerade angerufen.«
»Dann mußt du mitkommen.«
»Nichts lieber als das. Ich will unbedingt das Aquarium mit dem Goldsand sehen.«
»Da ist noch eine Sache«, fuhr Wallander fort. »Was weißt du über Flugzeuge?«
»Nicht viel.«
»Mir fällt da nämlich etwas ein. Alfred Harderberg hat doch ein Privatflugzeug, Typ Gulfstream, was immer das bedeutet. Die Maschine muß jedenfalls irgendwo registriert sein. Es muß eine Art Journal über seine Flugbewegungen geben.«
»Zumindest muß er ein paar Piloten haben; ich werde mich darum kümmern.«
»Überlaß das einem anderen. Du hast Wichtigeres zu tun.«
|228| »Was telefonisch zu erledigen ist, könnte Ann-Britt von zu Hause übernehmen«, sagte Martinsson. »Ich glaube, es würde sie freuen, wenn sie sich nützlich machen kann.«
»Aus ihr kann eine tüchtige Polizistin werden.«
»Das wollen wir hoffen. Aber sicher können wir noch nicht sein. Bisher wissen wir nur, daß sie auf der Polizeihochschule fleißig war.«
»Du hast recht. Die Wirklichkeit kann man nicht imitieren, auch in der besten Schule nicht.«
Als Martinsson den Raum verlassen hatte, bereitete sich Wallander auf die Besprechung der Ermittlungsgruppe vor, die um neun beginnen sollte. Beim Aufwachen waren die nächtlichen Gedanken über all die losen Enden des Falls noch gegenwärtig gewesen. Er hatte beschlossen, daß sie zunächst alles fallenlassen müßten, was nicht unmittelbar mit der Klärung der Morde verbunden war.
Wallander schob die Papierstapel zur Seite und legte ein leeres weißes Blatt vor sich auf den Tisch. Vor vielen Jahren hatte Rydberg ihn gelehrt, eine laufende Untersuchung immer wieder mit neuen Augen zu betrachten.
Wir müssen ständig den Aussichtsturm wechseln, sonst werden wir immer einen toten Winkel haben. Wie kompliziert eine Ermittlung auch ist, es muß eine Möglichkeit geben, sie so zu erklären, daß auch ein Kind sie versteht.
Wallander schrieb: Es war einmal ein alter Anwalt, der besuchte einen reichen Mann auf einem Schloß. Auf dem Heimweg brachte ihn jemand um und versuchte den Anschein zu erwecken, es wäre ein Autounfall gewesen. Wenig später wird sein Sohn in der Kanzlei erschossen. Er hatte Verdacht geschöpft, es könnte kein richtiger Autounfall gewesen sein. Deshalb hatte er auch mich heimlich in Dänemark aufgesucht; er erwartete Hilfe von mir. Seiner Sekretärin hatte er gesagt, er reise nach Finnland; von dort kam eine Postkarte. Einige Tage darauf vergrub jemand eine Mine im Garten der Sekretärin. Meine aufmerksame Kollegin merkt, daß wir auf der Fahrt nach Helsingborg von einem Wagen verfolgt werden. Die Anwaltskanzlei hat Drohbriefe von einem Revisor erhalten, der |229| später Selbstmord begeht, indem er sich bei Malmö an einem Baum aufhängt. Wahrscheinlich wurde auch er ermordet. All das hängt zusammen. Aber wir können es nicht erklären. Nichts wurde gestohlen, Haß oder Eifersucht scheinen nicht im Spiel zu sein. Übrig bleibt nur ein seltsamer Plastikbehälter. Und damit fängt alles von vorn an: Es war einmal ein alter Anwalt, der besuchte einen reichen Mann auf einem
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