Wallander 05 - Die falsche Fährte
Stunden. Danach versuchte er zweimal, bei Baiba anzurufen, aber sie nahm nicht ab. Er telefonierte mit Gertrud, die erzählte, mit seinem Vater sei alles wie üblich. Der einzige Unterschied sei vielleicht, daß er oft von der Reise nach Italien sprach, die sie im September machen wollten. Wallander saugte die Wohnung und reparierte einen defekten Fensterhaken. Unentwegt rotierte der Gedanke an den unbekannten Täter in seinem Kopf. Um sieben bereitete er sich ein einfaches |315| Abendessen, tiefgefrorenes Dorschfilet und Kartoffeln. Danach saß er mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon und blätterte zerstreut in einem alten Exemplar von Ystads
Allehanda
. Um Viertel nach sieben kam Linda dann doch nach Hause. Sie tranken Tee in der Küche. Am folgenden Tag sollte Wallander eine Probe der Theateraufführung ansehen, die sie mit Kajsa einübte. Sie gab sich sehr geheimnisvoll und wollte nicht verraten, wovon das Stück handelte. Um halb zwölf gingen sie ins Bett.
Wallander schlief fast sofort ein. Linda lag wach in ihrem Zimmer und lauschte den Nachtvögeln. Dann schlief auch sie ein. Ihre Tür hatte sie angelehnt gelassen.
Keiner von ihnen merkte, wie kurz nach zwei die Wohnungstür vorsichtig geöffnet wurde. Hoover war barfuß. Er blieb ganz still im Flur stehen und lauschte. Aus einem Zimmer links vom Wohnzimmer hörte er einen Mann schnarchen. Hoover bewegte sich vorsichtig ins Wohnungsinnere. Eine Zimmertür war angelehnt. Er sah, daß darin jemand lag und schlief. Es war ein Mädchen ungefähr im Alter seiner Schwester. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, hineinzugehen und sich ganz dicht neben sie zu stellen. Seine Macht über die Schlafende war vollkommen. Dann verließ er den Raum und ging weiter zu dem Zimmer, aus dem das Schnarchen kam. Der Polizeibeamte, der Wallander hieß, lag auf dem Rücken und hatte das Bettzeug bis auf einen Zipfel des Lakens von sich getreten. Er schlief tief. Der Brustkorb hob und senkte sich schwer.
Hoover stand vollkommen still und betrachtete ihn.
Er dachte an seine Schwester, die bald von allem Bösen befreit sein würde. Die bald wieder ins Leben zurückkehren würde.
Er sah den schlafenden Mann an. Dachte an das Mädchen im Zimmer nebenan, das seine Tochter sein mußte.
Er faßte seinen Entschluß.
In ein paar Tagen würde er wiederkommen.
|316| Er verließ die Wohnung ebenso lautlos, wie er gekommen war. Verschloß die Tür mit den Schlüsseln, die er aus der Jacke des Polizisten entwendet hatte.
Kurz darauf wurde die Stille von einem Moped unterbrochen, das startete und verschwand.
Dann war alles wieder still.
Nur die Nachtvögel sangen.
|317| 27
Als Wallander am Sonntagmorgen erwachte, fühlte er sich zum erstenmal seit sehr langer Zeit ausgeschlafen. Es war schon nach acht. Durch den Spalt in der Gardine konnte er ein Stück blauen Himmel sehen. Das schöne Wetter hielt an. Er blieb im Bett liegen und horchte auf Geräusche. Dann stand er auf, zog seinen frisch gewaschenen Bademantel über und warf einen Blick durch den Türspalt in Lindas Zimmer. Sie schlief. Einen Moment lang fühlte er sich zurückversetzt in die Zeit, als sie noch ein Kind war. Er lächelte bei dieser Erinnerung, ging in die Küche und machte Kaffee. Das Thermometer vor dem Küchenfenster zeigte schon neunzehn Grad. Als der Kaffee fertig war, machte er ein Frühstückstablett für Linda zurecht. Er wußte noch, was sie gern mochte. Ein Drei-Minuten-Ei, Toast, ein paar Scheiben Käse und eine aufgeschnittene Tomate. Er trank seinen Kaffee und wartete bis Viertel vor neun. Dann weckte er sie. Sie schreckte aus dem Schlaf hoch, als er ihren Namen sagte. Als sie das Tablett in seinen Händen sah, lachte sie auf. Er setzte sich ans Fußende und sah ihr beim Essen zu. Nach der kurzen Reflexion im Moment des Aufwachens hatte er der Mordermittlung keinen Gedanken mehr gewidmet. Er hatte das schon früher erlebt, unter anderem, als sie vor einigen Jahren eine langwierige Ermittlung durchlitten, nachdem ein älteres Landwirtehepaar auf einem einsamen Hof in der Nähe von Knickarp getötet worden war. Jeden Morgen war die Ermittlung, zusammengedrängt in ein paar kurzen Sekunden, doch mit allen Einzelheiten und unbeantworteten Fragen, durch seinen Kopf gerast.
Sie schob das Tablett beiseite, lehnte sich ins Bett zurück und streckte sich.
»Warum warst du in der Nacht auf?« fragte sie. »Konntest du nicht schlafen?«
|318| »Ich habe geschlafen wie ein Stein«, erwiderte
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