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Wallander 05 - Die falsche Fährte

Wallander 05 - Die falsche Fährte

Titel: Wallander 05 - Die falsche Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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|322| diesem Fall zutreffen? Er versuchte sich vorzustellen, der Täter, den sie suchten, wäre eine Frau. Doch der Gedanke war absurd. Die physische Kraft, deren Auswirkungen sie gesehen hatten, die Skalpe, die Schläge mit der Axt, die Säure in Fredmans Augen. Es mußte ein Mann sein, entschied er. Es ist ein Mann, der Männer tötet. Während die Frauen Selbstmord begehen oder psychisch krank sind. Er stand auf und ging zu einer anderen Bank, wie um zu demonstrieren, daß es auch andere denkbare Erklärungen gab. Gustaf Wetterstedt war in zwielichtige Affären verwickelt gewesen, Justizminister hin oder her. Es existierte eine schwache, aber doch nachweisbare Verbindung zwischen ihm und Carlman. Es ging um Kunst, Diebstähle, vielleicht Fälschungen. Vor allem aber um Geld. Es war nicht undenkbar, daß sie bei Björn Fredman auf dem gleichen Gebiet fündig wurden, wenn sie nur tief genug gruben. In dem Material, das er von Forsfält bekommen hatte, war nichts gewesen. Aber man brauchte es nicht abzuschreiben. Man brauchte überhaupt nichts abzuschreiben, und das war ihr Problem und ihre Chance zugleich.
    Wallander blickte gedankenverloren zu dem dänischen Segelboot, dessen Besatzung jetzt den Spinnaker einholte. Dann nahm er den Block und sah auf das letzte Wort, das er geschrieben hatte. Die Mystik. Die Morde wiesen Züge eines Rituals auf. Er hatte selbst daran gedacht, und auch Ekholm hatte während des letzten Treffens der Ermittlungsgruppe darauf hingewiesen. Die Skalpe waren ein Ritual, wie es das Sammeln von Trophäen immer war. Die Skalpe hatten die gleiche Bedeutung wie der Elchkopf an der Wand des Jägers. Sie waren der Beweis. Der Beweis wofür? Für wen? Für den Täter allein oder auch für jemand anderen? Für einen Gott oder einen Teufel, der im Kopf eines kranken Menschen existierte? Für einen anderen Menschen, dessen undramatisches Äußeres ebenso unansehnlich und wenig aufsehenerregend war wie das des Täters? Wallander dachte an alles, was Ekholm über Beschwörungen und Initiationsriten gesagt hatte. Man brachte ein Opfer, damit einem anderen Gnade zuteil wurde. Reich werden, ein Vermögen erhalten, gesund werden? Die Möglichkeiten waren unzählig. Es gab Motorradbanden mit festen Regeln dafür, wie neue Mitglieder sich als würdig zu erweisen hatten. |323| In den USA war es nicht ungewöhnlich, daß man einen Menschen töten mußte, einen zufällig oder bewußt gewählten, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Diese makabre Sitte breitete sich langsam auch hierzulande aus. Wallander hielt bei den Motorradbanden inne, die es auch in Schonen gab, und dachte an die Baracke des Straßenbauamts unterhalb von Carlmans Hügel. Die Vorstellung, daß die Spur, oder genauer gesagt das Fehlen einer Spur, sie zu den Motorradbanden führen könnte, war schwindelerregend. Wallander verwarf den Gedanken, obwohl er wußte, daß sie nichts ausschließen durften.
    Er stand auf und ging zurück zu der Bank, auf der er vorher gesessen hatte. Er befand sich wieder am Ausgangspunkt. Wohin hatte die Rückschau ihn geführt? Er kam nicht mehr weiter, ohne mit jemandem zu sprechen. Ann-Britt Höglund, dachte er. Konnte er es wagen, sie am Sonntagnachmittag zu stören? Er ging zu seinem Wagen und rief sie an. Sie war zu Hause. Er war willkommen. Mit einem schlechten Gewissen strich er den Besuch bei seinem Vater. Jetzt mußte er seine Gedanken mit denen eines anderen Menschen konfrontieren. Wenn er wartete, bestand die Gefahr, daß er zwischen seinen verschiedenen Gedankenketten die Orientierung verlor. Er fuhr nach Ystad zurück, die ganze Zeit ein bißchen schneller als erlaubt. Er hatte nichts von Verkehrskontrollen an diesem speziellen Sonntag gehört.
    Um drei Uhr bremste er vor Ann-Britt Höglunds Haus. Sie empfing ihn in einem hellen Sommerkleid. Ihre beiden Kinder spielten auf einem der Nachbargrundstücke. Sie bot Wallander einen Platz in einer Hollywoodschaukel an und setzte sich selbst in einen Korbsessel.
    »Ich wollte wirklich nicht stören«, sagte er. »Du hättest nein sagen können.«
    »Gestern war ich müde«, erwiderte sie. »Wie wir alle. Heute geht es mir besser.«
    »Das war wohl die Nacht der schlafenden Kriminalbeamten«, sagte Wallander. »Man kommt irgendwann an einen Punkt, an dem man nicht mehr kann. An dem nichts mehr herauskommt als leere und graue Erschöpfung. Und den Punkt hatten wir gestern erreicht.«
    |324| Er erzählte von seiner Fahrt nach Simrishamn, wie er zwischen

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