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Wallander 05 - Die falsche Fährte

Wallander 05 - Die falsche Fährte

Titel: Wallander 05 - Die falsche Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wischte den Finger und die Schneide des Messers an einem Handtuch ab. Dann setzte er sich vor die Spiegel.
    Die ersten Striche auf der Stirn sollten schwarz sein. Es war, als schnitte er zwei tiefe Kerben, öffnete sein Gehirn und leerte alle Erinnerungen und Gedanken aus, die ihm bisher durch das Leben gefolgt waren, die ihn gequält und gedemütigt hatten. Später würde er mit den roten und weißen Strichen weitermachen, mit den Ringen, den Vierecken, und zum Schluß den schlangenartigen Ornamenten auf den Wangen. Von seiner weißen Haut würde nichts mehr zu sehen sein. Und dann würde die Verwandlung abgeschlossen sein. Was vorher gewesen war, würde verschwunden sein. Er war in Gestalt eines Tiers wiederauferstanden, und er würde nie mehr wie ein Mensch sprechen. Er dachte, daß er nicht einmal zögern würde, sich die Zunge abzuschneiden, wenn es notwendig würde.
    Die Verwandlung nahm seinen ganzen Tag in Anspruch. Kurz nach sechs am Abend war er fertig. Da hatte er auch beschlossen, die größte der drei Äxte mitzunehmen. Er steckte den Schaft in den dicken Ledergürtel, den er umgelegt hatte. Da steckten schon die beiden Messer in ihren Scheiden. Er blickte sich im Zimmer um. Er hatte nichts vergessen. Die Spraydose hatte er in die Innentaschen der Lederjacke gesteckt.
    Ein letztes Mal betrachtete er sein Gesicht im Spiegel. Er erschauderte. Dann zog er vorsichtig den Motorradhelm über den Kopf, löschte das Licht und verließ das Zimmer, barfuß, wie er gekommen war.
     
    *
     
    Fünf Minuten nach neun stellte Gustaf Wetterstedt den Ton des Fernsehers leise und rief seine Mutter an. Es war eine feste Gewohnheit. Seit er vor mehr als fünfundzwanzig Jahren als Justizminister |21| abgetreten war und alle politischen Ämter niedergelegt hatte, verfolgte er die Nachrichtensendungen im Fernsehen mit Unlust und Widerwillen. Er konnte sich nicht damit abfinden, daß er nicht mehr selbst beteiligt war. In den vielen Jahren als Minister und Persönlichkeit im Zentrum der Öffentlichkeit war er mindestens einmal pro Woche im Fernsehen zu sehen gewesen. Er hatte dafür gesorgt, daß jeder Auftritt von einer Sekretärin auf Video aufgenommen wurde. Jetzt standen die Kassetten in seinem Arbeitszimmer und bedeckten eine ganze Wand. Es kam vor, daß er sie sich von neuem ansah. Es war für ihn eine Quelle ständiger Befriedigung, zu merken, daß er in den vielen Jahren als Justizminister nicht einmal angesichts einer unerwarteten oder verfänglichen Frage seitens eines böswilligen Journalisten die Fassung verloren hatte. Mit einem Gefühl ungehemmter Verachtung konnte er sich noch immer daran erinnern, wie manche seiner Kollegen sich vor den Fernsehjournalisten gefürchtet hatten. Allzuoft hatten sie auch angefangen zu stammeln und sich in Widersprüche verwickelt, die sie hinterher nie mehr ausräumen konnten. Aber ihm war das nie passiert. Er war ein Mensch, den niemand in eine Falle locken konnte. Die Journalisten hatten ihn nie besiegt. Sie waren auch seinen Geheimnissen nie auf die Spur gekommen.
    Er hatte den Fernseher um neun Uhr eingeschaltet, um die einleitende Nachrichtenübersicht zu sehen. Dann hatte er den Ton abgestellt. Er zog das Telefon zu sich und rief seine Mutter an. Sie war sehr jung gewesen, als sie ihn geboren hatte. Jetzt war sie vierundneunzig Jahre alt, klar im Kopf, voller unverbrauchter Energie. Sie wohnte allein in einer großen Wohnung in der Stockholmer Innenstadt. Jedesmal, wenn er den Hörer abnahm und die Nummer wählte, hoffte er, sie würde nicht abnehmen. Weil er selbst über siebzig war, hatte er angefangen zu befürchten, sie könnte ihn überleben. Nichts wünschte er sich mehr, als daß sie stürbe. Dann wäre er allein übrig. Er müßte sie nicht mehr anrufen, er würde bald sogar vergessen haben, wie sie aussah.
    Es klingelte am anderen Ende. Während er wartete, betrachtete er den tonlosen Nachrichtensprecher. Nach dem vierten Klingeln begann er zu hoffen, daß sie endlich gestorben sei. Dann hörte er ihre Stimme. Er machte seine Stimme weich, als er mit ihr |22| sprach. Er fragte, wie es ihr gehe, wie ihr Tag gewesen sei. Wo er nun einsehen mußte, daß sie noch immer lebte, wollte er das Gespräch so kurz wie möglich halten.
    Er beendete das Gespräch und blieb mit der Hand auf dem Telefonhörer sitzen. Sie stirbt nicht, dachte er. Sie stirbt nicht, es sei denn, ich schlage sie tot.
    Er blieb in dem stillen Zimmer sitzen. Nur das Rauschen des Meeres war zu hören und

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