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Wallander 05 - Die falsche Fährte

Wallander 05 - Die falsche Fährte

Titel: Wallander 05 - Die falsche Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Rauschen vom Meer war sehr schwach. Wieder glaubte er, ein Moped in der Nähe vorüberfahren zu hören. Es fiel ihm immer noch schwer, sich seinen eigenen Tod vorzustellen, obwohl er schon über siebzig war. Bei zwei Gelegenheiten hatte er auf Reisen in die USA die Erlaubnis erwirkt, anonym bei Hinrichtungen anwesend zu sein, das eine Mal bei einer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl, das andere Mal in der schon damals sehr seltenen Gaskammer. Es war ein sonderbar lustbetontes Erlebnis gewesen. Doch seinen eigenen Tod konnte er sich nicht vorstellen. Er verließ das Arbeitszimmer und goß sich an der Hausbar im Wohnzimmer ein Glas Likör ein. Die Uhr ging bereits auf Mitternacht zu. Ein kurzer Spaziergang zum Meer hinunter war das einzige, was er noch vor sich hatte, bevor er zu Bett gehen würde. Er zog im Flur eine Jacke an, stieg in seine abgetragenen Holzschuhe und verließ das Haus.
    Draußen war es windstill. Sein Haus lag so einsam, daß er keine Lichter von Nachbarn sehen konnte. In einiger Entfernung sausten die Autos auf der Straße nach Kåseberga vorüber. Er folgte dem Pfad durch den Garten hinunter zu der verschlossenen Pforte, die zum Strand führte. Zu seiner Verärgerung entdeckte er, daß die Lampe, die auf einem Mast neben der Pforte befestigt war, defekt war. Der Strand erwartete ihn. Er suchte seine Schlüssel und schloß die Pforte auf. Er ging das kurze Stück zum Strand hinunter und stellte sich direkt an die Wasserlinie. Das Meer war ruhig. Weit draußen am Horizont sah er die Lichter eines Schiffes, das nach Westen fuhr. Er knüpfte den Hosenschlitz auf und pinkelte ins Wasser, während er gleichzeitig von dem Besuch phantasierte, den er am folgenden Tag bekommen würde.
    Ohne etwas gehört zu haben, wußte er plötzlich, daß jemand hinter ihm stand. Er erstarrte und spürte, wie die Angst ihn überfiel. Dann drehte er sich ruckartig um.
    Der Mann, der dort stand, ähnelte einem Tier. Abgesehen von einer kurzen Hose war er nackt. Mit einem plötzlichen, hysterischen Entsetzen blickte er in das Gesicht des Mannes. Er konnte |27| nicht erkennen, ob es entstellt oder hinter einer Maske verborgen war. In der einen Hand hielt der Mann eine Axt. Verwirrt dachte er, daß die Hand um den Axtschaft sehr klein war, daß der Mann ihn an einen Zwerg erinnerte.
    Dann schrie er auf und begann wegzulaufen, zurück zur Gartenpforte.
    Er starb im selben Moment, in dem die Schneide der Axt sein Rückgrat in zwei Teile spaltete, gerade unterhalb der Schultern. Er merkte auch nicht mehr, wie der Mann, der vielleicht ein Tier war, niederkniete, einen Schnitt über seine Stirn zog und mit einem einzigen mächtigen Ruck den größeren Teil der Kopfhaut und des Haars von seinem Schädel riß.
    Die Uhr hatte gerade Mitternacht überschritten.
    Es war Dienstag, der 21.   Juni.
    Ein einsames Moped startete irgendwo in der Nähe. Kurz darauf verklang das Motorgeräusch.
    Alles war wieder sehr still.

|28| 2
    Gegen zwölf Uhr am 21.   Juni verschwand Kurt Wallander aus dem Polizeipräsidium in Ystad. Damit niemand merkte, daß er sich entfernte, verließ er seinen Arbeitsplatz durch den Garageneingang. Dann setzte er sich in seinen Wagen und fuhr zum Hafen hinunter. Weil es ein heißer Tag war, hatte er sein Jackett über dem Schreibtischstuhl hängen lassen. Für diejenigen, die ihn während der nächsten Stunden suchten, war dies ein Zeichen, daß er trotz allem noch im Hause sein mußte. Wallander parkte am Theater. Dann ging er auf die innere Pier hinaus und setzte sich auf die Bank neben der rotgestrichenen Baracke des Seenotrettungsdienstes. Er hatte einen seiner Kollegblocks mitgenommen. Als er anfangen wollte zu schreiben, bemerkte er, daß er vergessen hatte, einen Bleistift einzustecken. Sein erster verärgerter Impuls war, den Schreibblock ins Hafenbecken zu werfen und alles zu vergessen. Doch er sah ein, daß das unmöglich war. Seine Kollegen würden ihm das nicht verzeihen.
    Sie hatten ihn ungeachtet seiner Proteste dazu ausersehen, in ihrem Namen eine Rede zu halten, wenn sie um drei Uhr Björk verabschieden würden, der an diesem Tag als Polizeipräsident von Ystad abtrat.
    Wallander hatte noch nie zuvor eine Rede gehalten. Am nächsten war er einer Rede bei den unzähligen Pressekonferenzen gekommen, die er anläßlich verschiedener Verbrechensermittlungen hatte abhalten müssen.
    Aber wie dankte man einem Polizeipräsidenten, der aufhörte? Wofür dankte man eigentlich? Gab es überhaupt etwas,

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