Wallander 07 - Mittsommermord
begraben war. Daß sie kamen, um nach ihm zu suchen, war ebenso selbstverständlich. Eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
Aber er war ein weiteres Mal entkommen. Das war ihm nicht nur eine Erleichterung, sondern auch eine Genugtuung. Auch wenn er nicht erwartet hatte, daß es so kommen würde, hatte er natürlich seine Vorkehrungen getroffen. Er hatte die Tür zur Hintertreppe geöffnet und dann von innen einen Stuhl gegen die Wohnungstür gelehnt. Er würde umfallen, wenn jemand öffnete. Die Pistole lag griffbereit neben ihm. Die Schuhe hatte er nicht ausgezogen.
Die Geräusche von der Straße hatten ihn nervös gemacht. Es war nicht wie in seinem schallisolierten Zimmer. Eine Stille, die schon an sich ein Versteck war. Mehrmals hatte er versucht, Karl Evert dazu zu überreden, das Schlafzimmer umzubauen, die Geräusche auszuschließen. Aber es war nie etwas daraus geworden. Und jetzt war es zu spät.
Er hatte von seiner Kindheit geträumt, als er geweckt wurde. Es waren flüchtige und undeutliche Bilder. Aber er hatte hinter einem Sofa gestanden. Er war sehr klein. Er hatte Menschen gehört, vermutlich seine Eltern, die sich stritten. Eine Männerstimme, hart und herrisch. Es war, als schlüge ein furchteinjagender Vogel über seinem Kopf mit den Flügeln. Danach hatte er eine Frauenstimme gehört. Schwach und verängstigt. Es war ihm vorgekommen,
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als höre er seine eigene Stimme, obwohl er stumm und unsichtbar hinter dem Sofa stand.
Da hatte er die Geräusche aus dem Flur gehört. Sie waren gewaltsam in seinen Traum eingebrochen. Als der Stuhl umfiel, war er schon aus dem Bett, die Pistole in der Hand.
Jetzt bereute er es. Auch wenn es bedeutet hätte, von dem ursprünglichen Plan abzuweichen.
Er hatte das Haus mit der Pistole in der Jackentasche verlassen. Den Wagen hatte er unten am Bahnhof geparkt. In der Entfernung hatte er Sirenen gehört. Er war nach Sandskogen und anschließend weiter nach Österlen gefahren. Doch schon in Kåseberga hatte er angehalten und einen Spaziergang im Hafen gemacht. Überlegt, was er jetzt tun sollte. Er spürte noch immer ein Schlafbedürfnis. Aber er sah ein, daß es schon spät war. Er konnte nicht wissen, wann dieser Polizeibeamte, der Wallander hieß, nach Hause gehen würde. Dann mußte er sich bereits in der Wohnung befinden. Er hatte sich vorgenommen, daß es heute sein sollte. Das konnte er nicht mehr ändern, wenn er nicht riskieren wollte, daß die Gelegenheit ihm aus den Händen glitt.
Als er ans äußerste Ende der Pier gelangt war, faßte er seinen Entschluß. Er fuhr nach Ystad zurück. Den Wagen stellte er auf der Rückseite des Hauses ab, das er besuchen wollte. Niemand bemerkte ihn, als er durch die Haustür in der Mariagata glitt. Er klingelte an der Tür und horchte. Es war niemand da.
Dann schloß er auf und setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer, um zu warten. Die Pistole hatte er vor sich auf den Tisch gelegt.
Es war ein paar Minuten nach elf.
***
Hansson und der Polizist aus Malmö hatten bei dem Vorfall in der Lilla Norregata einen Schock erlitten. Sie hatten keinen körperlichen Schaden genommen, aber keiner von beiden war in der Lage weiterzuarbeiten. Hansson hatte zwar gewollt, ja fast darauf bestanden. Doch Wallander hatte mit ihm gesprochen und erkannt, daß es Hansson wesentlich schlechter ging, als er zugeben wollte. |538| Mit dem Kollegen aus Malmö war es einfacher gewesen. Ein Arzt im Krankenhaus hatte unmittelbar konstatiert, daß dieser in äußerst schlechter psychischer Verfassung war.
Die Ermittlungsgruppe umfaßte damit zwei Personen weniger. Als Wallander seine Mitarbeiter nach dem chaotischen Geschehen in der Lilla Norregata wieder versammelte, spürte er, wie angespannt die Atmosphäre war. Lisa Holgersson nahm ihn beiseite und fragte, ob es nicht an der Zeit sei, massive Verstärkung aus den umliegenden Polizeibezirken anzufordern. Wallander schwankte, nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Erschöpfung und des Gefühls, zu versagen. Aber er lehnte dennoch ab. Sie benötigten keine Verstärkung. Sondern Konzentration. Nichts würde leichter werden, nur weil Polizeiwagen durch die Straßen brausten. Was sie brauchten, war Zeit, um ihre ruhige und zumindest notdürftig methodische Suche nach jenem Punkt in der Ermittlung fortsetzen zu können, an dem die Türen sich öffnen würden.
»Gibt es diesen Punkt wirklich?« fragte sie. »Oder hoffst du das nur?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er.
Dann setzten
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