Wallander 07 - Mittsommermord
Warum dieses Töten?
»Es muß eine Art von Rache sein«, sagte Wallander.
»Rache wofür?« fragte sie. »Weil er einmal aus einem Ingenieurbüro geflogen ist? Das paßt nicht zusammen. Was hat ein Brautpaar mit seiner Entlassung zu tun? Außerdem scheint er seine Entlassung ja recht leicht genommen zu haben. Und dann läßt er sich zum Briefträger umschulen.«
»Die Frage ist, warum er gerade diesen Beruf wählt«, meinte Wallander. »Es ist ein großer Schritt vom Ingenieur zum Briefträger. Aber kann er schon damals angefangen haben, seinen |541| schrecklichen Plan zu entwickeln? Oder ist das später geschehen?«
»Das können wir nicht wissen.«
»Genausowenig wie so vieles andere.«
Das Gespräch verebbte. Wallander sah auf seine Uhr. Er wartete darauf, daß das, was er befürchtete, eintrat. Er stand auf, um sich Kaffee zu holen. Ann-Britt ging mit ihm.
»Das Motiv ist ein ganz anderes«, sagte er, als sie mit ihren Kaffeebechern im Eßraum standen. »Auch wenn vielleicht ganz tief am Grund ein Rachebedürfnis vorhanden ist. Aber Larstam tötet Menschen, denen es auf verschiedene Art und Weise gutgeht. Die fröhlich sind. Der Gedanke ist Nyberg draußen in Nybrostrand gekommen. Und was noch wichtiger ist: Albinsson hat ihn bestätigt. Åke Larstam mag keine Menschen, die lachen.«
»Er muß wahnsinniger sein, als wir glauben. Man bringt doch keine Menschen um, nur weil sie glücklich sind? In was für einer Welt leben wir eigentlich?«
»Das ist vielleicht genau die Welt, in der wir leben«, gab Wallander zurück. »Aber der Gedanke ist viel zu unerträglich, als daß wir ihn haben könnten. Es fragt sich, ob nicht das, von dem wir befürchten, es könnte eintreten, bereits eingetreten ist. Der Schritt nach dem endgültigen Verfall der Rechtsgesellschaft, wenn man es so ausdrücken kann. Eine Gesellschaft, in der sich immer mehr Menschen überflüssig oder direkt unerwünscht fühlen. In der wir mit einer Gewalt rechnen können, die jeglicher Logik entbehrt. Die im Begriff ist, ein natürlicher Bestandteil unseres Alltags zu werden. Wir klagen über die Entwicklung. Manchmal frage ich mich, ob sie nicht schon viel weiter fortgeschritten ist, als wir eigentlich einsehen.«
Er wollte seinen Gedankengang noch weiter verfolgen, als ihm zugerufen wurde, Martinsson sei am Telefon. Er kleckerte Kaffee auf sein Hemd, als er in den Sitzungsraum zurücklief.
»Es sieht nicht danach aus, als kämen wir hier weiter«, sagte Martinsson. »Ich habe die Liste der Liegeplatzinhaber durchgesehen. Aber es gibt keinen Liegeplatz auf den Namen Åke Larstam.«
»Seid ihr die Stege abgegangen?«
»Es hat nicht den Anschein, als sei er hier.«
|542| Wallander überlegte. »Kann er sein Boot auf einem Platz liegen haben, der unter einem anderen Namen gemietet ist?«
»In so einem Kleinboothafen kennt jeder jeden. Ich kann mir kaum vorstellen, daß Larstam gewagt haben sollte, hier unter falschem Namen zu mieten. Das paßt nicht zu seiner sonstigen Vorsicht.«
Wallander gab sich noch nicht geschlagen. »Kann sonst jemand den Platz gemietet haben?«
»Wer denn? Åke Larstam hat ja keine Freunde.«
»Ich nehme an, du hast nachgesehen, ob Svedbergs Name auf der Liste auftaucht?«
»Ja, daran habe ich tatsächlich gedacht. Aber es gibt nichts.«
Ein anderer Gedanke ging Wallander durch den Kopf. Erst wollte er ihn fallenlassen. Doch dann griff er ihn auf. »Sieh die Liste noch einmal durch«, sagte er. »Denk an alle Namen, die in dieser Ermittlung aufgetaucht sind. Im Zentrum oder am Rande. Ein Name, der plötzlich wieder auftaucht.«
»Du denkst also beispielsweise an Hillström oder Skander?«
»Genau.«
»Ich verstehe. Aber hältst du das wirklich für denkbar?«
»Nichts ist undenkbar. Geh alles noch einmal durch. Und laß von dir hören, wenn du etwas findest.«
Wallander legte auf. Der Kaffeefleck prangte braun auf seinem weißen Hemd. Er glaubte, noch ein letztes sauberes Hemd in seinem Kleiderschrank zu haben. Es würde weniger als zwanzig Minuten dauern, nach Hause zu fahren und das Hemd zu wechseln. Aber er wollte warten, bis Martinsson wieder von sich hatte hören lassen. Thurnberg trat zu ihm. »Ich denke, ich schicke Albinsson wieder nach Hause«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß er uns noch weiterhelfen kann.«
Wallander stand auf, ging zu Albinsson hinüber und schüttelte ihm die Hand. »Sie waren uns eine große Hilfe.«
»Ich begreife das immer noch nicht.«
»Das tut keiner von
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