Wallander 07 - Mittsommermord
Valdemarsvik entlang hinaus nach Gryt und Fyrudden.
Lennart Westin hatte ihn Anfang September überraschend angerufen. Als alles vorüber war, Larstam hinter Gittern, die Ermittlungsunterlagen eingetütet und an Thurnberg übergeben. An |599| einem Nachmittag, als Wallander ein Verhör mit einem jungen Mann führte, der seinen Vater mißhandelt hatte. Es war ein zähes und trostloses Gespräch gewesen. Wallander hatte nicht klären können, was eigentlich passiert war. Schließlich hatte er es aufgegeben, und Hansson hatte weitergemacht. Als Wallander in sein Büro kam, klingelte das Telefon, und Westin meldete sich. Er hatte gefragt, wann Wallander vorhabe, sie in den Schären zu besuchen. Wallander hatte vergessen, daß Westin ihn bei einem früheren Telefongespräch eingeladen hatte. Er wollte eigentlich ablehnen. Aber in der Gewißheit, daß doch nichts daraus würde, hatte er zugesagt. Sie hatten sich auf einen Tag Ende Oktober geeinigt. Danach hatte Westin noch einmal angerufen und ihn erinnert. Und jetzt war er unterwegs.
Sie hatten verabredet, daß Wallander um sechs Uhr in Fyrudden sein solle. Dort würde Westin ihn abholen. Wallander sollte bis Sonntag bei ihnen bleiben.
Wallander war dankbar für das Angebot. Gleichzeitig fürchtete er sich. Er hatte selten oder noch nie in seinem Leben mit Menschen verkehrt, die er kaum kannte. Dieser Herbst war der schwerste, den er seit vielen Jahren erlebt hatte. Häufig dachte er an seine Gesundheit und fürchtete, er könne jederzeit von einem Schlaganfall getroffen werden, obwohl Dr. Göransson geduldig versuchte, ihn zu beruhigen. Er sei auf dem richtigen Weg. Die Zuckerwerte hätten sich stabilisiert, er habe abgenommen und seine Eßgewohnheiten verändert. Doch Wallander hatte oft das Gefühl, es sei bereits alles zu spät. Obwohl er noch keine fünfzig war, stellte er sich in seinen düsteren Stunden vor, er befinde sich bereits in der Nachspielzeit. Jeden Augenblick konnte der Abpfiff ertönen.
Er bog auf den Hafenplatz von Fyrudden ein. Ein stürmischer Wind wehte, und der Regen trommelte gegen die Scheiben des Wagens. Er parkte an der gleichen Stelle, an der er auch im Sommer gestanden hatte. Stellte den Motor aus und hörte die Wellen an den Kai schlagen. Kurz vor sechs sah er Positionslichter näher kommen. Es war Westin.
Wallander stieg aus dem Wagen, nahm seine Tasche und ging ihm entgegen.
|600| Westin kam aus dem Steuerhaus. Wallander erkannte sein Lachen wieder.
»Willkommen!« rief Westin in den Wind. »Wir fahren sofort los. Das Essen wartet.«
Er nahm Wallander die Tasche ab. Wallander kletterte auf unsicheren Beinen an Bord. Er fror im Wind. Die Temperatur war gefallen.
»Na, da sind Sie endlich«, sagte Westin, als Wallander sich ins Steuerhaus drängte.
In diesem Moment verstand Wallander seine Zweifel nicht mehr. Er war froh, sich in Westins Boot zu befinden, auf dem Weg in die Dunkelheit und den stürmischen Wind.
Westin legte das Ruder herum, so daß das Boot krängte. Wallander hielt sich fest. Als sie aus dem Hafenbecken herauskamen, spürte er, wie die Wellen gegen die Planken schlugen.
»Haben Sie Angst auf See?« fragte Westin.
Seine Stimme verriet keinerlei Spott. Eher Fürsorge.
»Habe ich sicher«, gab Wallander zurück.
Westin nahm langsam Fahrt auf. Wallander merkte plötzlich, daß er es genoß. Er fragte sich, warum. Dann fiel ihm die Antwort ein.
Niemand wußte, wo er war. Keiner konnte ihn erreichen. Zum erstenmal seit sehr langer Zeit hatte er ganz und gar seine Ruhe.
Am folgenden Tag erwachte Wallander schon um sechs Uhr. Er hatte Kopfschmerzen. Es waren ziemlich viele Gläser Whisky geworden am Abend zuvor. Wallander hatte sich bei Westins sofort wie zu Hause gefühlt. Zwei zurückhaltende Kinder, Westins Frau, die ihn sogleich als alten Freund betrachtet hatte. Ein Fischgericht, Kaffee und Whisky. Sie hatten ihm von ihrem Leben hier draußen in den Schären erzählt. Wallander hatte zugehört und dann und wann eine Frage eingeschoben. Die Kinder waren ins Bett gegangen, danach auch Westins Frau. Westin und er waren sitzen geblieben, bis die Flasche beinah leer war. Ein paarmal war Wallander hinausgegangen in den Sturm und hatte gepißt. Der Regen hatte aufgehört. Aber es war kälter geworden. Westin glaubte, daß der Wind gegen Morgen abflauen würde.
|601| Wallander hatte in einer winterfesten Veranda geschlafen. Es war zwei geworden, bevor sie ins Bett gingen. Wallander hatte dagelegen und dem
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