Wallander 07 - Mittsommermord
wahrscheinlich auch. Er verhielt sich immer loyal zu allem, was du getan und gesagt hast. Auch wenn du dich geirrt hast.«
»Das beantwortet die Frage nicht«, gab Wallander zurück: »Wer kannte ihn am besten?«
»Keiner kannte ihn wirklich gut.«
»Aber jetzt müssen wir ihn kennenlernen. Jetzt, wo er tot ist.«
Nyberg trat in die Küche. Er hatte einen Becher mit Kaffee in der Hand.
Wallander wußte, daß Nyberg stets eine Thermoskanne vorbereitet hatte, für den Fall, daß er mitten in der Nacht herausgeklingelt wurde.
»Wie geht es?« fragte Wallander.
»Es sieht ja nach einem Einbruch aus«, sagte Nyberg. »Die Frage ist nur, warum der Täter sein Gewehr hier wegwirft.«
»Wir haben noch keinen Zeitpunkt«, sagte Wallander.
»Das ist Sache der Ärzte.«
»Ich würde trotzdem gern deine Meinung hören.«
»Ich rate nicht gern.«
»Ich weiß. Aber du hast Erfahrung. Ich verspreche dir, daß ich es dir nicht ankreide, wenn du dich irrst.«
Nyberg strich sich über das unrasierte Kinn. Seine Augen waren blutunterlaufen. »Vielleicht vierundzwanzig Stunden. Kaum weniger.«
Schweigend grübelten sie über Nybergs Aussage nach. Vierundzwanzig |87| Stunden. Mittwochabend. Oder irgendwann im Laufe des Donnerstags.
Nyberg gähnte und verließ die Küche.
»Du solltest jetzt nach Hause fahren«, sagte Wallander zu Ann-Britt Höglund. »Um acht treffen wir uns schon wieder, um uns darüber klarzuwerden, wie wir die Ermittlung angehen wollen.«
Die Küchenuhr zeigte Viertel nach fünf.
Ann-Britt nahm ihre Jacke und ging. Wallander blieb am Küchentisch sitzen. Auf der Fensterbank lag ein kleiner Stapel Rechnungen. Er blätterte sie durch. Irgendwo muß man ja anfangen, dachte er. Warum nicht bei Rechnungen auf einer Fensterbank in der Küche? Es waren eine Stromrechnung, ein Bankauszug über die Geldentnahme aus einem Automaten und eine Quittung von einem Herrenbekleidungsgeschäft. Wallander setzte seine Brille auf. Svedberg hatte am 3. August 2000 Kronen an einem Geldautomaten abgehoben. Danach betrug sein Guthaben 19 314 Kronen. Die Stromrechnung war Ende August fällig. Auf der Quittung des Herrenbekleidungsgeschäfts sah Wallander, daß Svedberg am 3. August ein Hemd gekauft hatte. Am gleichen Tag, an dem er Geld abgehoben hatte. Das Hemd kostete 695 Kronen. Reichlich teuer, dachte Wallander. Er legte die Papiere zurück auf die Fensterbank. Dann ging er zu Nyberg, holte sich ein Paar Plastikhandschuhe und kehrte in die Küche zurück. Sah sich langsam um, öffnete methodisch Fächer und Schubladen. Svedberg hatte in seiner Küche die gleiche Ordnung gehalten wie auf seinem Schreibtisch. Nichts wirkte auffällig, nichts schien verschwunden zu sein. Wallander lieh sich von Nyberg eine Taschenlampe und leuchtete in den Schrank unter der Spüle. Was er suchte oder zu finden hoffte, wußte er nicht. Er verließ die Küche und ging ins Arbeitszimmer. Irgendwo hier muß ein Teleskop stehen, dachte er, setzte sich in den Schreibtischstuhl und schaute sich um. Nyberg kam herein und sagte, sie seien soweit, daß Svedbergs Körper fortgebracht werden könne. Ob er ihn noch einmal sehen wolle? Wallander schüttelte den Kopf. Der Anblick Svedbergs mit dem halb weggesprengten Gesicht hatte sich ihm tief genug eingeprägt; er würde keines der Details je vergessen können. Er schaute sich weiter um. Das Bücherregal, aus dem die meisten Bücher herausgerissen |88| waren und nun auf dem Fußboden lagen. Der Schreibtisch mit dem Anrufbeantworter, ein Bleistifthalter, ein paar alte Zinnsoldaten, ein Kalender. Wallander blätterte ihn durch, Monat für Monat. Am 11. Januar um halb zehn ist Svedberg beim Zahnarzt. Am 7. März hat Ylva Brink Geburtstag. Am 18. April hat Svedberg den Namen Adamsson eingetragen, ebenso am 5. und am 12. Mai. Im Juni und Juli gibt es überhaupt keine Eintragungen. Svedberg hat Urlaub. Er klagt darüber, daß er überarbeitet ist. Wallander blätterte weiter, jetzt langsamer. Keine Eintragungen. An den letzten Tagen in Svedbergs Leben ist der Kalender leer. Am 18. Oktober hat Sture Björklund Geburtstag. Am 14. Dezember wieder der Name Adamsson. Danach nichts mehr. Wallander legte den Kalender zurück. Wenn man wollte, konnte man dem Kalender entnehmen, daß Svedberg ein sehr einsamer Mensch gewesen war. Aber was war denn schon ein Kalender? Wallander dachte an seinen eigenen. Stand da eigentlich so viel mehr von Bedeutung? Er lehnte sich in dem bequemen
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