Wallander 07 - Mittsommermord
an das, was er beim Tod seines Vaters und früher auch bei Rydbergs Tod empfunden hatte. Sicher konnte man sich an die Toten erinnern. Aber trotzdem war es, als hätten sie nie existiert.
Sie brachen langsam von ihrer Gedenkstunde auf. Außer der engsten Ermittlungsgruppe blieb nur Lisa Holgersson im Raum. Sie setzten sich an den Tisch. Die Flamme der Kerze flackerte, als Martinsson ein Fenster schloß. Wallander sah fragend zu Lisa Holgersson hinüber. Aber sie schüttelte den Kopf. Er hatte das Wort.
»Wir sind alle müde«, begann er. »Wir sind erschüttert und traurig und verwirrt. Was wir am meisten befürchten, ist eingetreten. Im Normalfall versuchen wir, Verbrechen aufzuklären, zuweilen grobe Gewaltverbrechen, deren Opfer Menschen außerhalb unseres eigenen Kreises sind. Aber jetzt hat es einen aus unserer Mitte getroffen. Dennoch müssen wir versuchen, genau so zu handeln wie in jedem anderen Fall.«
Er machte eine Pause und blickte in die Runde. Keiner sagte etwas.
|94| »Laßt uns zusammenfassen«, fuhr Wallander fort, »und dann überlegen, wie wir vorgehen wollen. Was wir wissen, ist nicht viel. Irgendwann zwischen Mittwochnachmittag und Donnerstagvormittag ist Svedberg erschossen worden. In seiner Wohnung. Von einem Menschen, der ohne sichtbare Gewaltanwendung durch die Tür hereingekommen ist. Wir können davon ausgehen, daß es sich bei der Waffe, die auf dem Fußboden lag, um die Mordwaffe handelt. Die Wohnung macht den Eindruck, als sei eingebrochen worden. Das kann bedeuten, daß Svedberg einem bewaffneten Einbrecher gegenüberstand. Wir wissen es nicht, aber es ist eine Möglichkeit. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß es daneben auch andere Erklärungen geben kann. Wir müssen auf breiter Front ermitteln. Dabei können wir nicht davon absehen, daß Svedberg Polizist war. Das kann etwas bedeuten, muß es aber nicht. Einen Zeitpunkt für den Mord haben wir noch nicht. Sehr sonderbar ist, daß keiner der Nachbarn die Schüsse gehört hat. Wir warten also ab, was die Gerichtsmediziner in Lund sagen.«
Er goß sich ein Glas Wasser ein und leerte es, bevor er fortfuhr. »Das ist alles, was wir wissen. Svedberg ist am Donnerstag nicht zur Arbeit gekommen. Jeder, der ihn kennt, weiß, wie ungewöhnlich das ist. Er hat nicht einmal Bescheid gegeben, warum er nicht kam. Die einzig plausible Erklärung dafür ist, daß er keine Möglichkeit dazu hatte. Was das bedeutet, wissen wir alle.«
Nyberg machte Wallander ein Zeichen. »Ich bin ja kein Gerichtsmediziner«, sagte er. »Aber ich bezweifle, daß Svedberg schon am Mittwoch starb.«
»Das heißt, daß wir uns auch die Frage stellen müssen«, sagte Wallander. »Also was hinderte Svedberg, vorgestern zur Arbeit zu kommen? Warum hat er nicht Bescheid gesagt? Wann wurde er getötet?«
Anschließend berichtete Wallander über sein Gespräch mit Ylva Brink.
»Abgesehen davon, daß sie mir Svedbergs einzigen anderen lebenden Angehörigen nannte, sagte sie etwas, was mich stutzig machte. Ihr zufolge hat Svedberg in der letzten Zeit darüber geklagt, überarbeitet zu sein. Obwohl er im Urlaub war. Das paßt nicht richtig zusammen. Besonders nicht, wenn man bedenkt, daß |95| er in seinem Urlaub keine strapaziösen Reisen unternahm oder dergleichen.«
»Hat er Ystad eigentlich jemals verlassen?« fragte Martinsson.
»Äußerst selten. Er machte gelegentlich eine Tagestour nach Bornholm. Oder er nahm die Polenfähre. Das hat Ylva Brink bestätigt. Ansonsten hat er sich in seiner Freizeit mit der Geschichte amerikanischer Indianer beschäftigt oder Sternkunde betrieben. Laut Ylva Brink hat er ein hochmodernes Teleskop bei sich zu Hause. Aber ich habe keins gefunden.«
»Hat er nicht auch Vögel beobachtet?« wollte Hansson wissen, der bisher geschwiegen hatte.
»Weniger«, antwortete Wallander. »Ich glaube, wir können davon ausgehen, daß Ylva Brink ihn ziemlich gut kannte. Ihr zufolge interessierte er sich für Indianer und Sterne.«
Er blickte in die Runde.
»Warum war er überarbeitet? Was hat das zu bedeuten? Vielleicht ist es ganz unwichtig. Aber ich werde den Gedanken nicht los, daß es von Bedeutung ist.«
»Ich habe vor unserer Sitzung versucht herauszufinden, woran er gearbeitet hat«, sagte Ann-Britt. »Unmittelbar vor seinem Urlaub hat er die Gespräche mit den Eltern der verschwundenen Jugendlichen geführt.«
»Was für verschwundene Jugendliche?« fragte Lisa Holgersson verwundert.
Wallander erklärte es ihr. Ann-Britt fuhr
Weitere Kostenlose Bücher