Wallander 07 - Mittsommermord
anfangen. Mit nichts anderem.«
Sie brauchten über drei Stunden, um das ihnen vorliegende Material durchzugehen. Die meiste Zeit verging damit, neue Fragen zu formulieren und dann zu bestimmen, wer jeweils für eine schnellstmögliche Klärung zuständig sein sollte. Nach zwei Stunden schlug Wallander eine kurze Pause vor. Alle außer Lisa Holgersson holten sich Kaffee. Dann machten sie weiter. Die Ermittlungsgruppe begann zu funktionieren. Um Viertel nach neun war Wallander der Meinung, daß sie jetzt nicht mehr weiterkämen.
Lisa Holgersson hatte die meiste Zeit still dabeigesessen, wie es ihre Art war, wenn sie an einer Sitzung der Ermittlungsgruppe teilnahm. Wallander wußte, daß sie vor ihrer kollektiven Kompetenz großen Respekt hatte.
Doch jetzt hob sie die Hand zum Zeichen, daß sie etwas sagen wollte.
»Was könnte diesen Jugendlichen eigentlich zugestoßen sein?« |147| fragte sie. »Nach so langer Zeit müßte doch zumindest ein Unglück entdeckt worden sein.«
»Ich weiß es nicht«, gab Wallander zurück. »Die Vermutung, daß etwas passiert sein könnte, gründet sich auf eine sehr spezielle Voraussetzung. Nämlich darauf, daß die Postkarten, die bei Astrid Hillströms Mutter eingetroffen sind, gefälscht sind. Was immer noch vollkommen unmotiviert erscheint. Warum sollte jemand Postkarten fälschen?«
»Um ein Verbrechen zu vertuschen«, sagte Nyberg.
Es wurde still im Raum. Wallander sah Nyberg an und nickte langsam. »Und nicht irgendein Verbrechen. Verschwundene Menschen sind entweder für immer verschwunden, oder sie kehren zurück. Es gibt nur eine denkbare Erklärung dafür, daß jemand die Postkarten gefälscht hat. Den Wunsch, so lange wie möglich zu verbergen, daß diese drei jungen Leute, Martin Boge, Lena Norman und Astrid Hillström, tot sind.«
»Und noch etwas«, ergänzte Ann-Britt Höglund. »Die Person, die diese Postkarten geschrieben hat, weiß, was passiert ist.«
»Nicht nur das«, fügte Wallander hinzu. »Es handelt sich wahrscheinlich um die Person, die sie getötet hat. Eine Person, die ihre Unterschriften fälschen kann und ihre Namen und Adressen kennt.«
Es schien, als müsse Wallander sich einen Ruck geben, um die logische Schlußfolgerung zu formulieren: »Hinter der Versendung dieser gefälschten Postkarten verbirgt sich ein vorsätzlicher Mord. Und wenn das stimmt, müssen wir damit rechnen, daß die drei Jugendlichen einem berechnenden und sorgfältig planenden Mörder zum Opfer gefallen sind.«
Keiner brach das nachfolgende Schweigen. Wallander wußte, was er sagen würde. Aber er wollte abwarten, um zu sehen, ob einer der anderen ihm zuvorkäme.
Jemand lachte laut draußen im Flur. Nyberg putzte sich die Nase. Hansson starrte vor sich auf den Tisch. Martinsson trommelte mit den Fingern. Ann-Britt Höglund und Lisa Holgersson sahen Wallander an. Meine zwei weiblichen Bundesgenossen, dachte er.
»Wir sind zu Spekulationen gezwungen«, begann er schließlich. |148| »Eine davon wird zwangsläufig unangenehm und überhaupt nahezu unvorstellbar sein. Aber wir kommen nicht darum herum, in diesem Zusammenhang von Svedberg zu sprechen. Wir wissen, daß er ein Foto von Astrid Hillström und ein paar Freunden bei sich versteckt hatte. Wir wissen, daß er heimlich Nachforschungen angestellt hat. Was ihn treibt, wissen wir nicht. Die Jugendlichen sind weiterhin verschwunden. Und Svedberg wird ermordet. Es kann Einbruch gewesen sein, es kann jemand gewesen sein, der nach etwas gesucht hat. Vielleicht nach dieser Fotografie. Aber wir dürfen leider auch von einer anderen Möglichkeit nicht absehen. Daß Svedberg auf die eine oder andere Art und Weise selbst in die Sache verwickelt war.«
Hansson ließ seinen Bleistift auf den Tisch fallen. »Das kann doch nicht wahr sein!« begehrte er entrüstet auf. »Einer unserer Kollegen wird brutal ermordet. Wir sitzen hier zusammen, um die Suche nach dem Täter in Gang zu bringen. Und jetzt sprechen wir von der Möglichkeit, daß Svedberg selbst in ein noch schlimmeres Verbrechen verwickelt war.«
»Aber genau so müssen wir denken«, erwiderte Wallander. »Eine Hypothese unter anderen.«
»Du hast natürlich recht«, sagte Nyberg. »So unangenehm es auch sein mag. Aber seit den Ereignissen in Belgien habe ich das Gefühl, daß auch hier bei uns so gut wie alles eintreffen kann.«
Wallander wußte, daß Nyberg recht hatte. Die makabren Kindermorde in Belgien hatten sowohl polizeiliche als auch politische Verwicklungen
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