Wallander 07 - Mittsommermord
darauf. Dann aber stand sie auf, als sei endlich der Startschuß gefallen, und verließ das Zimmer. Nach ungefähr einer Minute war sie zurück. Sie reichte dem verwunderten Wallander ein Foto.
»Fotokopien sind nie so gut wie das Original«, sagte sie.
Wallander betrachtete das Foto. Es war das gleiche wie das, von dem die Kopie stammte. Er hatte sogleich das Gefühl, sich einem entscheidenden Punkt zu nähern.
»Erzählen Sie mir etwas über das Foto«, sagte er. »Wann wurde es aufgenommen? Und wer sind die anderen Jugendlichen?«
»Wo es aufgenommen ist, weiß ich nicht. Irgendwo in Österlen. Vielleicht bei Brösarps backar. Astrid hat es mir geschenkt.«
»Und wann ist es aufgenommen?«
»Im letzten Sommer. Im Juli. Magnus hatte Geburtstag.«
»Magnus?«
Sie zeigte auf den Jungen, der auf dem Bild etwas in Richtung des unbekannten Fotografen rief. Wallander hatte ausnahmsweise seinen Notizblock nicht vergessen.
»Wie heißt er weiter?«
»Holmgren. Er wohnt in Trelleborg.«
»Und wer sind die anderen?«
Wallander schrieb sich die Namen und ihre Adressen auf. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Und wer hat das Bild aufgenommen?« fragte er.
»Astrid hat eine Kamera mit Selbstauslöser.«
»Dann hat sie es also gemacht?«
»Ich sagte doch gerade, daß die Kamera einen Selbstauslöser hat!«
|154| Wallander ging weiter. »Es ist ein Geburtstagsfest, Magnus hat Geburtstag. Aber sie sind auch verkleidet.«
»Das machten sie immer so. Ich kann nichts Merkwürdiges daran finden.«
»Ich auch nicht. Aber ich muß diese Fragen trotzdem stellen.«
Sie zündete sich eine Zigarette an. Wallander hatte das Gefühl, daß sie sich bedrohlich nahe am Rand eines Nervenzusammenbruchs bewegte.
»Astrid hatte demnach viele Freunde«, fuhr er fort.
»Nicht viele, aber gute«, sagte Eva Hillström.
Sie nahm das Foto und zeigte auf das andere Mädchen. »Isa hätte auch dabeisein sollen. Jetzt, Mittsommer. Aber sie ist krank geworden.«
Es dauerte eine Weile, bis Wallander der Zusammenhang klar wurde. Er zeigte auf das Foto.
»Dieses zweite Mädchen hätte dieses Jahr also eigentlich auch dabeisein sollen?«
»Sie ist krank geworden.«
»Deshalb waren sie nur zu dritt? Drei, die irgendwo ein Fest feierten? Und die dann beschlossen, eine Europareise zu machen?«
»Ja.«
Er kontrollierte seine Notizen.
»Isa Edengren wohnt in Skårby?«
»Ihr Vater ist Geschäftsmann.«
»Was hat sie über diese Reise gesagt?«
»Daß nichts vorher beschlossen war. Aber sie ist sicher, daß sie verreist sind. Sie hatten immer ihre Pässe mit, wenn sie sich trafen.«
»Hat sie Postkarten bekommen?«
»Nein.«
»Findet sie das nicht komisch?«
»Doch.«
Eva Hillström drückte die Zigarette aus. »Es ist etwas passiert«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was. Aber es ist etwas Ernstes passiert. Isa irrt sich. Sie sind nirgendwohin gereist. Sie sind noch da.«
Wallander sah, daß Tränen in ihren Augen standen.
|155| »Warum glaubt mir keiner?« fragte sie. »Nur einer hat auf mich gehört. Aber das hilft jetzt auch nicht mehr.«
Wallander hielt den Atem an. »Nur eine Person hat Ihnen zugehört. Habe ich Sie richtig verstanden?«
»Ja.«
»Ich nehme an, Sie meinen den Polizeibeamten, der Sie Ende Juni besucht hat?«
Sie sah ihn erstaunt an. »Er war mehrfach hier«, sagte sie. »Nicht nur im Juni. Im Juli war er jede Woche hier. Er ist auch jetzt im August noch zweimal hiergewesen.«
»Sie sprechen von meinem Kollegen Svedberg?«
»Warum mußte er sterben?« fragte sie. »Er war der einzige, der mir zugehört hat. Er hat sich genauso große Sorgen gemacht wie ich.«
Wallander wußte plötzlich nichts mehr zu sagen.
|156| 10
Der Wind wehte schwach.
Manchmal spürte man ihn kaum.
Damit die Zeit schneller verging, hatte er die Windstöße gezählt, die er im Gesicht spürte. Er hatte überlegt, ob er das auf die Liste setzen sollte, auf der er sich alle Freuden im Leben notierte. Alles, was dem glücklichen Menschen zukam.
Er stand schon seit einigen Stunden unter einem hohen Baum versteckt. Pünktlich zu sein gab ihm auch ein Gefühl von Zufriedenheit.
Es war immer noch warm an diesem Samstagabend im August.
Als er am Morgen erwacht war, hatte er gewußt, daß er nicht länger warten würde. Die Zeit war reif. Wie üblich hatte er genau acht Stunden geschlafen, weder länger noch kürzer. Irgendwo in den Träumen und in seinem Unterbewußtsein war der Entschluß gefaßt worden. Heute würde er die
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