Wallander 07 - Mittsommermord
verschwand auf die Toilette.
Dann ging er zur Mariagata, holte seinen Wagen und fuhr zur Ausfahrt nach Malmö. Vor dem Großmarkt, in dem er einzukaufen pflegte, blieb er im Wagen sitzen und versuchte, eine Einkaufsliste zu erstellen. Aber als er mit dem Einkaufswagen zwischen den Regalen herumfuhr, konnte er den Zettel, den er geschrieben hatte, nicht finden. Er machte sich nicht die Mühe, zum Auto zurückzugehen und ihn zu holen. Es war fast vier Uhr, als er seine Einkäufe im Kühlschrank und in der Speisekammer verstaut hatte. Dann legte er sich auf die Couch und wollte Zeitung lesen. Aber er schlief sofort ein. Als er nach einer Stunde mit einem Ruck aufwachte, hatte er geträumt.
Er war mit seinem Vater in Rom. Aber auch Rydberg war dabei. |31| Und ein paar zwergähnliche kleine Menschen, die sie hartnäckig in die Beine zwickten.
Wallander blieb auf der Couch sitzen.
Ich träume von den Toten, dachte er. Was hat das zu bedeuten? Mein Vater ist tot. Ich träume fast jede Nacht von ihm. Und jetzt auch noch Rydberg. Mein alter Kollege und Freund. Von dem ich das meiste gelernt habe, was ich heute vielleicht als Kriminalbeamter kann. Und er ist seit fast fünf Jahren tot.
Er ging hinaus auf den Balkon. Es war noch immer heiß und windstill. Am Horizont baute sich eine Wolkenfront auf.
Plötzlich wurde ihm mit erschreckender Deutlichkeit klar, wie einsam er war. Abgesehen von Linda, die in Stockholm lebte und die er selten traf, hatte er fast keinen Vertrauten. Sein Umgang mit Menschen beschränkte sich auf seine Arbeitskollegen. Und die traf er nie in seiner Freizeit.
Er ging ins Badezimmer und wusch sich das Gesicht. Betrachtete sich im Spiegel. Er war braungebrannt. Aber die Müdigkeit machte die Haut fahl. Das linke Auge war blutunterlaufen. Seine Stirn war wieder ein Stück höher geworden.
Er stellte sich auf die Waage. Sie zeigte ein paar Kilo weniger an als vor dem Sommer. Aber immer noch zu viele.
Das Telefon klingelte. Es war Gertrud.
»Ich wollte nur sagen, daß ich gut in Rynge angekommen bin.«
»Ich habe an dich gedacht«, sagte Wallander. »Ich hätte vielleicht bei dir bleiben sollen.«
»Ich brauchte das Alleinsein. Mit allen Erinnerungen. Aber hier wird es mir gutgehen. Meine Schwester und ich kommen gut miteinander aus. So war es immer.«
»Ich besuche dich bald einmal.«
Als sie ihr Gespräch beendet hatten, klingelte das Telefon sofort wieder. Diesmal war es seine Kollegin Ann-Britt Höglund.
»Ich wollte nur hören, wie es gelaufen ist«, sagte sie.
»Was gelaufen ist?«
»Solltest du nicht heute einen Makler treffen? Wegen des Hauses von deinem Vater?«
Wallander fiel ein, daß er am Vortag ein paar Worte mit ihr darüber gewechselt hatte.
|32| »Es ist gutgegangen. Du kannst es für 300 000 kaufen.«
»Ich habe es ja nie gesehen.«
»Es ist ein komisches Gefühl«, sagte Wallander. »Jetzt, wo es leer steht. Gertrud ist ausgezogen. Irgend jemand wird es kaufen. Vermutlich wird es ein Sommerhaus. Andere Menschen werden darin leben. Und sie werden nichts von meinem Vater wissen.«
»Es gibt in allen Häusern Gespenster«, erwiderte sie. »Außer in Neubauten.«
»Der Geruch von Terpentin wird sich eine Zeitlang halten«, sagte Wallander. »Wenn der auch weg ist, gibt es da nichts mehr, das an ihn erinnert.«
»Das klingt wehmütig.«
»Aber so ist es. Wir sehen uns morgen. Nett, daß du angerufen hast.«
Wallander ging in die Küche und trank Wasser.
Ann-Britt war aufmerksam. Sie dachte an so etwas. Er selbst wäre nie auf den Gedanken gekommen, sie in einer ähnlichen Situation anzurufen.
Es war sieben. Er briet Fleischwurst und Kartoffeln. Dann saß er mit dem Teller auf den Knien vor dem Fernseher, fand aber nichts, was ihn interessierte. Den Kaffee nahm er mit hinaus auf den Balkon. Sobald die Sonne untergegangen war, wurde es kühl. Er ging wieder hinein.
Den Rest des Abends verbrachte er damit, die Dinge durchzusehen, die er am Morgen aus Löderup mitgebracht hatte.
Ganz unten in einem der Kartons lag ein brauner Umschlag mit ein paar vergilbten Fotos. Er konnte sich nicht erinnern, sie schon einmal gesehen zu haben. Auf einem war er selbst, vier oder fünf Jahre alt, auf der Motorhaube eines großen amerikanischen Wagens sitzend. Daneben stand sein Vater und hielt ihn fest.
Wallander nahm das Foto mit in die Küche und suchte in den Schubladen nach einem Vergrößerungsglas.
Wir lachen beide, dachte er. Ich blicke in die Kamera und strahle vor Stolz.
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