Wallander 08 - Die Brandmauer
konnte er sich in eine rasende Wut über alle Ungerechtigkeiten hineinsteigern. Erst wenn er seine Gedanken auf die Rache konzentrierte, die nahe bevorstand, beruhigte er sich wieder. Aber dann waren meistens schon mehrere Stunden vergangen. Die Sonne würde schon am Horizont stehen. Die Nachtwachen hatten angefangen zu schwatzen, und bald würde es am Vorhängeschloß klappern, wenn Celina aufschloß, um in die Küche zu gelangen und ihm sein Frühstück zuzubereiten.
Er zog das Laken wieder über sich. Wenn seine Nase zu jucken begann, wußte er, daß er bald niesen mußte. Er haßte es zu niesen. Er verabscheute alle Allergien. Sie waren eine Schwäche, die er verachtete. Besonders wenn er zur Unzeit nieste. Es war vorgekommen, daß er einen Vortrag abbrechen mußte, weil das Niesen ihm das Weitersprechen unmöglich machte.
Andere Male bekam er juckenden Ausschlag. Oder seine Augen tränten.
Er zog das Laken über den Mund. Diesmal blieb er Sieger. Das Bedürfnis zu niesen verschwand. Statt dessen blieb er liegen und dachte an die Jahre, die vergangen waren. An all das, was passiert war und dazu beigetragen hatte, daß er jetzt in einem Bett in einem Haus in Luanda lag, der Hauptstadt von Angola.
Vor mehr als dreißig Jahren hatte er als junger Volkswirt bei der Weltbank in Washington angefangen. Damals war er erfüllt von dem Glauben an die Möglichkeiten der Bank, zur Verbesserung der Welt beizutragen. Oder sie zumindest gerechter zu machen. Die großen Kredite, die in der armen Welt benötigt wurden und die einzelne Nationen oder private Banken nicht aufbringen konnten, waren der Anlaß dafür gewesen, daß einst bei einem Treffen in Bretton Woods die Weltbank geschaffen wurde. Auch |269| wenn viele seiner Freunde an der Universität in Kalifornien der Meinung waren, daß er die falsche Wahl traf, daß in den Büros der Weltbank keine vernünftigen Lösungen für die wirtschaftlichen Probleme der Welt geschaffen wurden, hatte er an seiner Entscheidung festgehalten. Er war nicht weniger radikal als andere. Er war in denselben Demonstrationszügen mitmarschiert, nicht zuletzt gegen den Krieg in Vietnam. Aber er war nie zu der Überzeugung gelangt, daß ziviler Ungehorsam an sich zu einer besseren Welt führen würde. Er glaubte auch nicht an die kleinen und viel zu beschränkten sozialistischen Parteien. Er war zu der Auffassung gelangt, daß er in den bestehenden Strukturen wirken mußte. Wollte man die Macht erschüttern, mußte man sich in ihrer Nähe bewegen.
Außerdem hatte er ein Geheimnis. Deshalb hatte er die Columbia-Universität in New York verlassen und war nach Kalifornien umgezogen. Er war ein Jahr in Vietnam gewesen. Und es hatte ihm gefallen. Er hatte einer Kampfeinheit angehört, die sich fast die ganze Zeit in der Nähe von An Khe an der wichtigen Straße von Qui Nhon nach Westen befunden hatte. Er wußte, daß er während dieses Jahres mehrere feindliche Soldaten getötet hatte, und ihm war auch bewußt, daß er eigentlich nichts bereute. Während seine Kameraden sich in Drogen flüchteten, hatte er seine Disziplin als Soldat aufrechterhalten. Er war sicher gewesen, daß er überleben würde.
Er
würde nicht in einem Plastiksack über das Meer zurückgeschickt werden. Damals, in den schwülen Nächten, irgendwo auf Patrouille im Dschungel, war er zu seiner Überzeugung gelangt. Man mußte sich auf der Seite der Macht befinden, in der Nähe der Macht, um sie erschüttern zu können. Und wie er jetzt hier in Angola lag und auf die Morgendämmerung wartete, konnte er das gleiche wieder fühlen. Daß er sich wieder in einem Dschungel in stickiger Hitze befand und daß er damals, vor dreißig Jahren, recht gehabt hatte.
Weil er früh erkannt hatte, daß bald der Posten des Verantwortlichen Leiters der Bank in Angola frei würde, hatte er sofort Portugiesisch gelernt. Seine Karriere war schnell und schnurgerade. Seine Vorgesetzten hatten seine Fähigkeiten erkannt. Obwohl es viele Bewerber mit höheren oder zumindest umfassenderen Qualifikationen |270| gegeben hatte, war ihm ohne Diskussion der angestrebte Chefposten in Luanda übertragen worden.
Es war das erstemal, daß er nach Afrika kam, seinen Fuß in ein armes und zerrissenes Land auf der südlichen Halbkugel setzte. Die Zeit als Soldat in Vietnam rechnete er nicht. Dort war er ein unwillkommener Feind gewesen. In Angola war er willkommen. In der ersten Zeit hatte er nur zugehört, gesehen und gelernt. Er hatte sich über die Freude und
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