Wallander 08 - Die Brandmauer
zu gehen.«
»So könnte es gewesen sein. Fragt sich nur, warum.«
»Und du hast eine Idee?«
»Das Natürliche ist selbstverständlich, daß die Tasche dort hingeworfen wurde, um gefunden zu werden. Aber vielleicht nicht sofort.«
»Jemand wollte also, daß der Körper identifiziert würde, aber nicht sofort?«
»Zu dem Ergebnis war ich auch gekommen. Aber dann entdeckte ich etwas. Gerade da, wo die Tasche lag, ist es besonders hell. Einer der Scheinwerfer beleuchtet genau die Stelle, an der die Tasche lag.«
Wallander ahnte, worauf Nyberg hinauswollte, sagte aber nichts.
»Ich meine nur, sie lag vielleicht da, weil jemand sich ins Licht gestellt hat, um sie zu durchsuchen.«
»Und vielleicht hat er auch etwas gefunden?«
»So stelle ich es mir vor. Aber die Schlußfolgerungen zu ziehen ist natürlich deine Sache.«
Wallander stand auf. »Gut«, sagte er. »Es kann sein, daß du vollkommen richtig denkst.«
Wallander stieg die Treppe hinauf und ging in Ann-Britts Zimmer. Sie saß über einem Berg von Papieren.
»Sonja Hökbergs Mutter«, sagte er. »Ich möchte, daß du Kontakt mit ihr aufnimmst und sie fragst, ob sie weiß, was normalerweise in der Handtasche ihrer Tochter war.«
Wallander erzählte von Nybergs Idee. Ann-Britt nickte und begann, eine Telefonnummer zu suchen.
Wallander machte sich nicht die Mühe zu warten. Er war rastlos und ging zurück in sein Zimmer. Wie viele Kilometer hatte er in all den Jahren wohl schon auf dem Flur zurückgelegt? Dann hörte er es in seinem Zimmer klingeln. Er hastete zum Telefon.
Es war Martinsson. »Ich glaube, es wird Zeit, daß du herkommst.«
»Warum?«
»Robert Modin ist ein sehr tüchtiger junger Mann.«
|263| »Was ist denn passiert?«
»Was wir gehofft haben. Wir sind drin. Der Computer hat seine Tore geöffnet.«
Wallander legte auf.
Jetzt haben wir endlich den Durchbruch, dachte er. Es hat lange gedauert. Aber am Ende ging es doch.
Er nahm seine Jacke und verließ das Präsidium.
Es war Viertel vor zwei. Sonntag, der 12. Oktober.
|265| II
Die Brandmauer
|267| 21
Im Morgengrauen erwachte Carter davon, daß die Ventilation der Klimaanlage plötzlich aussetzte. Er lag reglos unter dem Laken und horchte ins Dunkel. In einiger Entfernung bellte ein Hund. Wieder einmal Stromausfall. Es passierte hier in Luanda so gut wie jede Nacht. Savimbis Banditen waren ständig auf der Jagd nach Möglichkeiten, die Stromversorgung der Hauptstadt durch einen Kurzschluß lahmzulegen. Und dann fielen die Ventilatoren aus. Es würde nur wenige Minuten dauern, bis es im Raum stickig heiß war. Aber die Frage war, ob er sich aufraffen konnte aufzustehen und in den an die Küche angrenzenden Raum hinunterzugehen, um den Generator zu starten. Er wußte auch nicht, was schlimmer war: der Lärm des Generators oder die drückende Hitze im Schlafzimmer.
Er wandte den Kopf und schaute auf die Uhr. Viertel nach fünf. Vor dem Haus hörte er eine der Nachtwachen schnarchen. Es war bestimmt José. Aber solange der zweite Mann sich wachhielt, war es nicht problematisch. Er legte den Kopf so, daß er den Kolben der Pistole fühlte, die ständig unter dem Kopfkissen lag. Ungeachtet aller Nachtwachen und Zäune war sie am Ende die einzige Sicherheit, die er hatte. Für den Fall, daß einer der zahllosen Räuber, die sich in der Dunkelheit verbargen, zuzuschlagen beschloß. Er hatte volles Verständnis dafür, daß sie es auf ihn abgesehen hatten. Er war weiß, er war wohlhabend. In einem armen und heruntergekommenen Land wie Angola war Kriminalität eine Selbstverständlichkeit. Wäre er einer der Armen, würde er sich auch berauben.
Plötzlich sprang die Klimaanlage wieder an. Manchmal waren die Ausfälle kurz. Dann lag es nicht an den Banditen, sondern an einem technischen Problem. Die Leitungen waren alt. Sie waren von den Portugiesen in der Kolonialzeit installiert worden. Wie viele Jahre sie seitdem ohne Wartung waren, wußte er nicht.
|268| Carter blieb wach im Dunkeln liegen. Er dachte daran, daß er bald sechzig würde. Eigentlich war es bemerkenswert, daß er so alt geworden war, wenn man bedachte, was für ein Leben er geführt hatte. Inhalts- und abwechslungsreich. Aber auch gefährlich.
Er schlug das Laken zur Seite und ließ die kühle Luft direkt auf die Haut treffen. Er liebte es nicht, in der Morgendämmerung aufzuwachen. In den Stunden vor Sonnenaufgang war er ganz und gar ungeschützt. Da gab es nur ihn und das Dunkel und alle Erinnerungen. Dann
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