Wallander 08 - Die Brandmauer
eingestellt, sich Zeit zu lassen. Nichts zu übereilen.
Sie ergänzten einander vorzüglich. Carter hatte Kontakte. Er wußte, wie die Weltbank funktionierte. Er kannte die Finanzsysteme bis ins Detail und wußte, wie brüchig die weltumspannende Wirtschaft im Grunde war. Was viele als Stärke ausgaben, daß die Weltwirtschaft immer enger verflochten war, würde in sein Gegenteil verkehrt werden. Falk seinerseits war der Techniker, der sich ausdenken konnte, wie verschiedene Ideen praktisch umgesetzt werden mußten.
Monatelang saßen sie fast jeden Abend zusammen und feilten an ihrem großen Plan.
In den mehr als zwanzig Jahren, die seitdem vergangen waren, hatten sie ständig Kontakt miteinander gehabt. Von Anfang an war ihnen klargewesen, daß die Zeit noch nicht reif war. Aber eines Tages würde sie es sein, und dann würden sie zuschlagen. An dem Tag, an dem die Elektronik die Instrumente bereithielt und die internationale Finanzwelt so eng verflochten war, daß nur noch ein Schlag den Knoten lösen konnte, würde es soweit sein.
Carter wurde aus seinen Gedanken gerissen. Instinktiv griff er nach der Pistole unter dem Kopfkissen. Aber es war nur Celina, die sich an dem Hängeschloß am Kücheneingang zu schaffen machte. Eigentlich sollte er sie entlassen, dachte er gereizt. Sie machte zuviel Lärm, wenn sie sein Frühstück zubereitete. Außerdem kochte sie die Eier nie so, wie er sie haben wollte. Celina war häßlich und dick und dumm. Sie konnte weder lesen noch schreiben, und sie hatte neun Kinder. Und einen Mann, der die meiste Zeit im Schatten eines Baums saß und schwadronierte, wenn er nicht betrunken war.
Einst hatte Carter gedacht, diese Menschen würden die neue |275| Welt schaffen. Daran glaubte er nicht mehr. Und dann konnte man die Welt ebensogut einreißen. Sie zerschlagen.
Die Sonne hatte sich schon über den Horizont erhoben. Carter blieb noch eine Weile unter dem Laken liegen. Er dachte daran, daß Falk jetzt tot war. Was nicht passieren durfte, war passiert. In ihrem Plan war stets auch Raum für den Gedanken gewesen, daß das Unerwartete, das Unkontrollierbare eintreffen könnte. Sie hatten es in ihre Berechnungen einbezogen, Verteidigungssysteme aufgebaut und alternative Lösungen entworfen. Aber sie hatten sich nie vorgestellt, daß einer von ihnen selbst betroffen sein könnte. Daß einer von ihnen sterben würde, einen ganz sinnlosen und ungeplanten Tod. Doch genau das war geschehen. Als Carter die telefonische Nachricht aus Schweden erhalten hatte, wollte er sie zuerst nicht glauben. Aber schließlich hatte er sich nicht länger gegen die Wahrheit sträuben können. Sein Freund war tot. Tynnes Falk gab es nicht mehr. Es schmerzte ihn und gefährdete ihren gesamten Plan. Es war der denkbar ungünstigste Zeitpunkt – kurz bevor sie endlich zuschlagen wollten. Jetzt war er der einzige, der den großen Augenblick erleben durfte. Doch das Leben bestand nicht nur aus bewußten Entscheidungen und gründlichen Plänen. Es enthielt auch Zufälle.
In seinem Kopf hatte die große Operation schon einen Namen bekommen:
Jakobs Moor.
Er konnte sich noch erinnern, wie Falk bei einer überaus seltenen Gelegenheit zuviel Wein getrunken und plötzlich angefangen hatte, von seiner Kindheit zu erzählen. Daß er auf einem Gut aufgewachsen war, auf dem sein Vater als eine Art Verwalter gearbeitet hatte. Dort, in der Nähe eines Waldgeländes, gab es ein Moor. Die Flora war Falk zufolge verwildert, chaotisch und schön. An diesem Moor hatte er als Kind gespielt, hatte Libellen fliegen sehen und einige der allerbesten Momente seines Lebens erlebt. Er hatte auch den Namen Jakobs Moor erklärt. Vor langer Zeit hatte sich jemand, der Jakob hieß, aus unglücklicher Liebe eines Nachts dort ertränkt.
Für Falk hatte das Moor, als er erwachsen geworden war, eine andere Bedeutung bekommen. Nicht zuletzt, nachdem er Carter begegnet war und beide spürten, daß sie eine große Erfahrung |276| dessen teilten, was das Leben eigentlich bedeutete. Jetzt wurde das Moor zu einem Symbol für die chaotische Welt, in der sie lebten, wo am Ende das einzige, was man tun konnte, war, hinzugehen und sich zu ertränken. Oder zumindest dafür zu sorgen, daß andere darin verschwanden.
Jakobs Moor.
Ein guter Name. Wenn die Operation denn überhaupt einen Namen brauchte. Aber sie würde zum Ehrengedenken an Falk werden. Ein Gedenken, dessen Bedeutung nur Carter verstand.
Er lag noch eine Weile im Bett und dachte an Falk.
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