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Wallander 08 - Die Brandmauer

Wallander 08 - Die Brandmauer

Titel: Wallander 08 - Die Brandmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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aufgewachsen, wo sein Vater Verwalter war. Er war das einzige Kind. Nach dem Abitur in Linköping hatte er beim Panzerregiment in Skövde seinen Militärdienst abgeleistet, bevor er sich an der Universität Uppsala immatrikulierte. Anfangs war er anscheinend ein wenig unschlüssig und hatte sich nicht für ein Fach entscheiden können. Soviel sie wußte, hatte er neben Jura auch Literaturwissenschaft studiert. Doch schon nach einem Jahr war er nach Stockholm gezogen und hatte an der Handelshochschule angefangen. In dieser Zeit waren sie sich bei einem Studentenfest begegnet.
    »Tynnes tanzte nicht«, sagte sie. »Aber er war da. Irgendwie wurden wir einander vorgestellt. Ich erinnere mich noch, daß ich ihn zuerst langweilig fand. Es war wahrlich keine Liebe auf den ersten Blick. Jedenfalls nicht von meiner Seite. Ein paar Tage später rief er an. Ich wußte nicht einmal, wie er meine Telefonnummer bekommen hatte. Er wollte mich wiedersehen. Aber nicht, um spazieren oder ins Kino zu gehen. Sein Vorschlag verblüffte mich.«
    »Was wollte er denn?«
    »Er wollte mit mir nach Bromma fahren, um die Flugzeuge anzusehen.«
    »Und warum?«
    »Er liebte Flugzeuge. Wir fuhren hin. Er wußte fast alles über die Maschinen, die da starteten und landeten. Ich fand ihn schon ein bißchen komisch. Vielleicht hatte ich mir nicht vorgestellt, so den Mann meines Lebens zu treffen.«
    Sie hatten sich 1972 getroffen. Wallander bekam den Eindruck, daß Tynnes Falk sehr hartnäckig war, während Marianne dem Ganzen bedeutend skeptischer gegenüberstand. Sie war von einer Aufrichtigkeit, die Wallander überraschte.
    »Er machte keinerlei Annäherungsversuche«, sagte sie. »Ich glaube, es dauerte drei Monate, bis er überhaupt auf die Idee kam, mich zu küssen. Hätte er es damals nicht getan, wäre mir sicher die Lust vergangen, und ich hätte Schluß gemacht. Vermutlich ahnte er das. Und da kam also dieser Kuß.«
    Während jener Jahre zwischen 1973 und 1977 hatte sie eine |302| Ausbildung als Krankenschwester absolviert. Eigentlich wäre sie gern Journalistin geworden. Aber sie war an der Journalistenhochschule nicht angenommen worden. Ihre Eltern lebten in Spånga bei Stockholm, wo ihr Vater eine kleine Kfz-Werkstatt hatte.
    »Tynnes sprach nie über seine Eltern«, sagte sie. »Ich mußte ihm jedes Wort aus der Nase ziehen, wenn ich etwas über seine Kindheit und Jugend erfahren wollte. Ich wußte kaum, daß sie noch lebten. Sicher war nur, daß er keine Geschwister hatte. Ich selbst hatte fünf. Es dauerte unendlich lange, bis ich ihn dazu bringen konnte, mit mir nach Hause zu kommen, um meine Eltern kennenzulernen. Er war sehr schüchtern. Zumindest tat er so.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Tynnes hatte ein gesundes Selbstvertrauen. Ich glaube, daß er die große Mehrheit der Menschen zutiefst verachtete. Obwohl er das Gegenteil behauptete.«
    »Auf welche Weise?«
    »Wenn ich zurückdenke, erscheint unser Verhältnis natürlich als sehr sonderbar. Er wohnte für sich, in einem Zimmer am Odenplan. Ich blieb in Spånga. Ich hatte nicht besonders viel Geld und Angst davor, ein zu hohes Studiendarlehen in Anspruch zu nehmen. Aber Tynnes machte nicht einmal den Vorschlag, daß wir vielleicht zusammenziehen könnten. Wir trafen uns an drei oder vier Abenden in der Woche. Was er neben dem Studium außer Flugzeuge anschauen noch tat, davon wußte ich nicht viel. Bis zu dem Tag, an dem ich ernstlich anfing, mich zu fragen.«
    Es war an einem Donnerstagnachmittag, erinnerte sie sich. Vielleicht im April oder spätestens Anfang Mai, ungefähr ein halbes Jahr, nachdem sie sich kennengelernt hatten. Gerade an jenem Tag hatten sie sich nicht verabredet. Tynnes hatte gesagt, er habe eine wichtige Vorlesung, die er nicht ausfallen lassen könne. Statt dessen hatte sie ein paar Erledigungen für ihre Mutter gemacht. Als sie auf dem Weg zum Hauptbahnhof die Drottninggata überqueren wollte, hatte sie warten müssen, weil ein Demonstrationszug den Weg blockierte. Es war eine Manifestation für die Dritte Welt. Die Plakate und Spruchbänder handelten von der Weltbank und den portugiesischen Kolonialkriegen. Sie selbst hatte sich nie besonders für Politik interessiert. Sie kam aus einem soliden sozialdemokratischen |303| Elternhaus. Von der das Land überschwemmenden Linkswelle war sie nicht erfaßt worden. Auch Tynnes Falk hatte lediglich einen allgemeinen Radikalismus zur Schau getragen. Aber auf alles, was sie ihn fragte, hatte er eindeutige

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