Wallander 08 - Die Brandmauer
der Einfahrt zur Stadt näherte, piepte sein Telefon. Er fuhr an den Straßenrand und hielt an.
Es war Martinsson. »Wir sind dabei«, sagte er.
»Kommt ihr voran?«
»Diese Ziffern sind wie eine hohe Mauer. Modin versucht, sie zu überwinden. Was er eigentlich tut, kann ich nicht sagen.«
»Wir müssen uns in Geduld üben.«
»Ich nehme an, die Polizei bezahlt sein Mittagessen?«
»Laß dir eine Quittung geben, ich regle das später.«
»Ich frage mich, ob wir nicht trotz allem mit dem Reichskrim und seinen Datenexperten Kontakt aufnehmen sollten. Was gewinnen wir eigentlich dabei, daß wir es aufschieben?«
|315| Martinsson hatte natürlich recht, dachte Wallander. Aber er wollte trotzdem warten und Robert Modin noch etwas Zeit geben.
»Das werden wir auch tun«, sagte er. »Aber wir warten noch eine Weile.«
Wallander fuhr weiter zum Präsidium. Von Irene erfuhr er, daß Gertrud angerufen hatte. Er ging in sein Büro und rief sie an. Manchmal fuhr er sonntags zu ihr und besuchte sie. Aber oft kam es nicht vor. Und er hatte ständig ein schlechtes Gewissen. Schließlich hatte Gertrud sich in den letzten Jahren seines schwierigen Vaters angenommen. Ohne sie wäre er sicher nicht so alt geworden. Aber jetzt, wo sein Vater nicht mehr lebte, hatten Wallander und Gertrud kaum noch etwas, worüber sie reden konnten.
Gertruds Schwester meldete sich. Sie konnte sehr mitteilsam sein und hatte zu fast allem eine Meinung. Wallander versuchte, sich kurz zu fassen. Sie holte Gertrud an den Apparat, aber es dauerte ewig, bis sie endlich kam.
Aber es war nichts passiert. Wallander hatte sich unnötig Sorgen gemacht.
»Ich wollte nur hören, wie es dir geht«, sagte Gertrud.
»Viel zu tun. Sonst geht’s gut.«
»Du hast mich lange nicht besucht.«
»Ich weiß. Sobald ich Zeit habe, komme ich.«
»Eines Tages ist es vielleicht zu spät«, sagte sie. »In meinem Alter weiß man nie, wie lange man noch lebt.«
Gertrud war kaum sechzig Jahre alt. Aber Wallander stellte fest, daß sie bereits die Methoden seines Vaters übernommen hatte. Die gleiche seelische Erpressung.
»Ich komme«, sagte er freundlich, »sobald ich kann.«
Dann entschuldigte er sich damit, daß er eine dringende Unterredung habe, die Leute warteten schon. Aber als das Gespräch zu Ende war, ging er in den Eßraum und holte Kaffee. Dort traf er auf Nyberg, der eine spezielle Sorte Kräutertee trank, die schwer zu bekommen war. Ausnahmsweise wirkte Nyberg ausgeruht. Er hatte sogar sein Haar gekämmt, das sonst nach allen Seiten auseinanderstand.
»Wir haben keine Finger gefunden«, sagte Nyberg. »Die Hunde haben überall gesucht. Aber wir haben die Abdrücke durchlaufen |316| lassen, die wir in Falks Wohnung gefunden haben und die seine sein müssen.«
»Hat es was gebracht?«
»In den schwedischen Registern ist er nicht.«
Wallander brauchte nicht lange, um sich zu entscheiden.
»Gib sie an Interpol. Weißt du übrigens, ob Angola Interpol angeschlossen ist?«
»Woher soll ich das denn wissen?«
»Ich frage mich nur.«
Nyberg nahm seine Tasse und ging. Wallander stahl ein paar Zwiebäcke aus Martinssons privater Packung und ging in sein Zimmer. Es war zwölf Uhr. Der Vormittag war schnell vergangen. Das Fotoalbum lag vor ihm. Er war unsicher, wie er jetzt weiter vorgehen sollte. Er wußte zwar mehr über Falk als vor ein paar Stunden, aber nichts davon hatte ihn einer Erklärung der rätselhaften Verbindung zu Sonja Hökberg nähergebracht.
Er zog das Telefon zu sich heran und rief Ann-Britt an. Keine Antwort. Auch Hansson war nicht in seinem Zimmer. Und Martinsson war bei Robert Modin. Er versuchte sich vorzustellen, was Rydberg getan hätte. Diesmal war es leichter, seine Stimme zu hören. Rydberg hätte nachgedacht. Das war das Wichtigste, was ein Kriminalbeamter nach dem Sammeln der Fakten tun konnte. Wallander legte die Füße auf den Schreibtisch und schloß die Augen. Noch einmal ging er alles durch, was geschehen war. Dabei versuchte er, seinen Blick auf den inneren Rückspiegel zu richten, der auf sonderbare Art und Weise alles nach Angola zurücklenkte, zu einem Zeitpunkt vor über zwanzig Jahren. Wieder versuchte er, von verschiedenen Ausgangspunkten die Ereignisse zu durchdenken. Lundbergs Tod. Und Sonja Hökbergs. Aber auch den Stromausfall.
Als er die Augen wieder aufSchlug, tat er es mit dem gleichen Gefühl wie ein paar Tage zuvor. Daß die Lösung greifbar nahe war, nur daß er sie nicht sehen konnte.
Das Klingeln
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