Wallander 08 - Die Brandmauer
den Inhalt seines Rechners zu löschen? Warum hatte er dann eine Diskette zurückgelassen, wenn er – warum auch immer – deren Inhalt verbergen wollte? Oder hatte er geglaubt, auch von der Diskette sei alles gelöscht? Aber warum hatte er sich dann die Mühe gemacht, sie in das Versteck unter dem schrägen Bücherregal zu schieben? Es gab zahlreiche Fragen, aber keine Antworten. Martinsson entwickelte vorsichtig die Theorie, die unbegreifliche Mitteilung »Die Nerze müssen befreit werden« könne vorsätzlich ins Spiel gebracht worden sein, damit sie sie fänden und in eine falsche Richtung schauten. Aber was war eigentlich die falsche Richtung, dachte Wallander verzagt. Wenn es keine richtige gab. Sie hatten auch eingehend diskutiert, ob sie nicht schon am selben Abend die Fahndung nach Landahl ankurbeln sollten. Aber Wallander hatte gezögert. Sie hatten keinen wirklichen Grund. Auf jeden Fall nicht, bevor Nyberg das Auto gründlich untersucht hatte. Martinsson stimmte darin nicht mit Wallander überein, und ungefähr zu diesem Zeitpunkt, als sie sich zu keiner gemeinsamen Haltung durchringen konnten, spürten sie beide gleichzeitig, wie erschöpft sie waren. Oder war es im Grunde Überdruß? Wallander empfand es als quälend, daß er nicht in der Lage war, die Ermittlung in eine vernünftige Richtung zu lenken. Er vermutete, daß Martinsson dies stillschweigend genauso sah. Auf dem Weg ins Präsidium fuhren sie am Runnerströms Torg vorbei. Wallander wartete im Wagen, während Martinsson hinaufging, um Robert Modin zu sagen, daß es für heute genug sei. Sie kamen gemeinsam herunter, und der Wagen, der Modin nach Hause bringen sollte, traf kurz danach ein. Martinsson erzählte, Modin habe überhaupt nicht nach Hause fahren wollen. Er hätte gern die ganze Nacht vor seinen elektronischen Mysterien verbracht. Er steckte immer noch fest, erzählte Martinsson. Aber er behauptete mit unverdrossener Beharrlichkeit, daß die Zahl Zwanzig wichtig sei.
Wieder zurück im Präsidium, hatte Martinsson in seinem Computer nach Jonas Landahl gesucht. Er stellte Fragen nach den verschiedenen |343| Gruppen, die sie in ihren Registern hatten. Gruppen, die sich unter anderem dem Kampf gegen den Handel mit Pelzen widmeten und Nerze aus den Farmen freiließen. Aber der Computer antwortete »Zugang verweigert«. Daraufhin hatte er den Computer ausgeschaltet und sich wieder zu Wallander gesellt, der mit ausdrucksloser Miene und einem Plastikbecher mit kaltem Kaffee im Eßraum herumhing.
Sie beschlossen, Feierabend zu machen und nach Hause zu gehen. Wallander war noch eine Weile im Eßraum sitzen geblieben, zu müde, um nachzudenken, zu müde, um nach Hause zu gehen. Als letztes versuchte er noch, herauszufinden, womit Hansson sich beschäftigte. Jemand erzählte ihm schließlich, er sei vermutlich am Nachmittag nach Växjö gefahren. Dann hatte Wallander Nyberg angerufen, der jedoch nichts Neues zu berichten wußte.
Auf dem Nachhauseweg hatte Wallander Lebensmittel eingekauft. Als er bezahlen wollte, fand er seine Brieftasche nicht. Aber die Kassiererin kannte ihn und schrieb die Summe an. Als Wallander nach Hause kam, notierte er als erstes mit großen Buchstaben auf einem Zettel, daß er am nächsten Tag bezahlen mußte. Den Zettel legte er auf die Fußmatte. Dann hatte er Spaghetti gemacht und sie vor dem Fernseher gegessen. Ausnahmsweise waren sie richtig gut gelungen. Er zappte durch die Programme und entschied sich schließlich für einen Film. Aber er kam mitten in die Handlung und brachte nicht genug Interesse auf, um weiter zuzuschauen. Gleichzeitig fiel ihm ein, daß er sich einen anderen Film ansehen wollte. Einen Film mit Al Pacino. Um elf war er ins Bett gegangen und hatte den Telefonstecker herausgezogen. Die Straßenlampe hing reglos vor seinem Fenster. Im Nu war er eingeschlafen.
Am Dienstag morgen wachte er ausgeschlafen kurz vor sechs auf. Er hatte von seinem Vater geträumt. Und von Sten Widén. Sie hatte sich in einer eigenartigen Steinlandschaft befunden. Im Traum hatte Wallander ununterbrochen Angst gehabt, die beiden aus den Augen zu verlieren. Sogar ich kann diesen Traum deuten, dachte er. Ich bin noch immer das kleine Kind, das fürchtet, allein gelassen zu werden.
|344| Das Telefon klingelte. Es war Nyberg. Wie üblich kam er direkt zur Sache. Egal, zu welchem Zeitpunkt er anrief, immer setzte er voraus, daß sein Gegenüber hellwach war. Während er seinerseits sich selbstverständlich darüber
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