Wallander 08 - Die Brandmauer
beklagte, ständig zu den unmöglichsten Zeiten von Leuten angerufen zu werden, die nach diesem oder jenem fragten.
»Ich komme gerade von der Garage in der Snapphanegata zurück«, begann er. »Und ich habe etwas auf der Rückbank eingeklemmt gefunden, was ich gestern übersehen haben muß.«
»Was denn?«
»Einen Kaugummi. Spearmint. Mit Zitronengeschmack.«
»Ist es am Sitz festgeklebt?«
»Nein, nicht einmal ausgepackt. Wenn es festgeklebt gewesen wäre, hätte ich es gestern schon gefunden.«
Wallander war aus dem Bett gestiegen und stand barfuß auf dem kühlen Fußboden.
»Gut«, sagte er. »Wir sprechen uns später.«
Nach einer halben Stunde war er geduscht und angezogen. Den Morgenkaffee würde er erst im Präsidium trinken. Als er auf die Straße trat, war es windstill. Er hatte sich vorgenommen, an diesem Morgen zu Fuß zu gehen. Aber er änderte seine Meinung und nahm den Wagen. Auf sein schlechtes Gewissen pfiff er. Als erstes sah er nach Irene, aber sie war noch nicht gekommen. Ebba wäre dagewesen, dachte er. Selbst wenn auch sie nicht vor sieben Uhr angefangen hätte. Aber sie hätte intuitiv gewußt, daß ich mit ihr reden wollte. Natürlich war er ungerecht Irene gegenüber. Mit Ebba war niemand zu vergleichen. Im Eßraum holte er sich Kaffee. Sie hatten für diesen Tag eine große Verkehrskontrolle angesetzt. Wallander wechselte ein paar Worte mit einem der Verkehrspolizisten, der darüber klagte, daß immer mehr Menschen zu schnell fuhren und außerdem Alkohol getrunken hatten. Noch dazu ohne Führerschein. Wallander hörte zerstreut zu und dachte, daß die Polizei immer Schon eine klagende und jammernde Zunft gewesen war, und kehrte zur Anmeldung zurück. Irene hängte gerade ihren Mantel auf.
»Erinnerst du dich daran, daß ich mir kürzlich einen Kaugummi von dir geliehen habe?«
|345| »Man leiht sich keinen Kaugummi. Du hast ihn bekommen. Oder dieses Mädchen.«
»Was für eine Sorte war es?«
»Gewöhnliches Spearmint.«
Wallander nickte.
»War das alles?« fragte Irene verwundert.
»Reicht das nicht?«
Er ging zu seinem Büro, und der Kaffee schwappte im Becher. Er hatte es eilig, seinen Gedankengang weiterzuverfolgen. Er rief Ann-Britt zu Hause an. Als sie sich meldete, hörte er im Hintergrund Kindergeschrei.
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, sagte er. »Ich möchte, daß du mit Eva Persson sprichst und sie fragst, ob sie einen bestimmten Kaugummigeschmack bevorzugt. Außerdem will ich wissen, ob sie Sonja manchmal Kaugummis abgegeben hat.«
»Warum ist das wichtig?«
»Das erkläre ich dir, wenn du herkommst.«
Zehn Minuten später rief sie zurück. Im Hintergrund herrschte noch immer Unruhe. »Ich habe mit ihrer Mutter gesprochen. Sie behauptet, daß der Kaugummigeschmack ihrer Tochter variiert. Ich kann mir nicht denken, daß sie in so einer Sache lügt.«
»Sie weiß also, was für Kaugummis Eva kaut?«
»Mütter wissen manchmal so gut wie alles über ihre Töchter«, antwortete sie.
»Oder gar nichts?«
»Genau.«
»Und Sonja?«
»Wir können wohl davon ausgehen, daß Eva Persson ihr Kaugummis gegeben hat.«
Wallander schnalzte mit den Lippen.
»Warum um Himmels willen ist das mit diesen Kaugummis wichtig?« fragte Ann-Britt.
»Das erfährst du, wenn du hier bist.«
»Hier ist ein Scheißchaos«, sagte sie. »Aus irgendeinem Grund ist es am Dienstag morgen immer am schlimmsten.«
Wallander legte auf. Jeder Morgen ist am schlimmsten, dachte |346| er. Ohne Ausnahme. Auf jeden Fall immer dann, wenn man um fünf Uhr aufwacht und nicht wieder einschlafen kann. Dann ging er zu Martinsson hinüber. Sein Zimmer war leer. Wahrscheinlich befand er sich schon zusammen mit Robert Modin am Runnerströms Torg. Hansson war von der vermutlich vollkommen überflüssigen Reise nach Växjö noch nicht zurückgekommen.
Wallander setzte sich in sein Zimmer und versuchte, allein eine Lageeinschätzung vorzunehmen. Es bestand kaum ein Zweifel daran, daß Sonja Hökberg in dem blauen Auto, das in der Garage in der Snapphanegata stand, ihre letzte Fahrt gemacht hatte. Jonas Landahl hatte sie zur Transformatorstation gefahren, wo sie getötet worden war, und danach hatte er selbst mit der Polenfähre das Weite gesucht.
Es gab Lücken und Mängel. Jonas Landahl mußte nicht unbedingt selbst den Wagen gefahren haben. Er mußte auch nicht unbedingt derjenige sein, der Sonja Hökberg getötet hatte. Aber er stand unter dringendem Verdacht. Vor allem brauchten sie
Weitere Kostenlose Bücher