Wallander 08 - Die Brandmauer
Rydbergs Rat äußerst skeptisch gewesen. Aber nach und nach hatte er eingesehen, daß Rydberg ihn etwas Entscheidendes gelehrt hatte.
Wallander bekam Kopfschmerzen. Es hämmerte hinter den Schläfen. Er stand auf und öffnete die Kleiderschranktür. Auf den Kleiderbügeln Kleider, auf dem Boden Schuhe. Nichts anderes als Schuhe und ein kaputter Teddy. An der Innenseite der Tür hing ein Filmplakat. ›Im Auftrag des Teufels‹. Al Pacino spielte die Hauptrolle. Wallander erinnerte sich an ihn aus ›Der Pate‹. Er schloß die Kleiderschranktür wieder und setzte sich auf den Schreibtischstuhl. Von dort konnte er das Zimmer aus einer anderen Perspektive sehen.
Es fehlt etwas, dachte er. Er erinnerte sich an Lindas Zimmer aus ihrer Teenagerzeit. Zwar hatte auch sie Spieltiere gehabt. Aber vor allem Bilder der Idole, die wechseln konnten, aber in irgendeiner Gestalt immer da waren.
In Sonja Hökbergs Zimmer gab es nichts. Sie war neunzehn. Alles, was sie hatte, war ein Filmplakat in einem Kleiderschrank.
Wallander blieb noch ein paar Minuten sitzen. Dann verließ er das Zimmer und ging die Treppe hinunter. Erik Hökberg wartete im Wohnzimmer auf ihn. Wallander bat ihn um ein Glas Wasser und nahm seine Tabletten.
Hökberg betrachtete ihn forschend. »Haben Sie etwas gefunden?«
»Ich wollte mich nur umsehen.«
»Was wird mit ihr passieren?«
Wallander schüttelte den Kopf. »Sie ist strafmündig, und sie hat gestanden. Es wird also nicht leicht für sie.«
|64| Hökberg sagte nichts. Wallander sah ihm an, wie gequält er war.
Wallander notierte die Telefonnummer von Hökbergs Schwägerin in Höör.
Dann verließ er das Reihenhaus. Der Wind hatte aufgefrischt. Die Böen kamen und gingen. Wallander fuhr zum Präsidium zurück. Er fühlte sich schlecht. Gleich nach der Pressekonferenz würde er nach Hause fahren und sich ins Bett legen. Als er in die Anmeldung kam, winkte Irene ihn zu sich. Sie war blaß.
»Was ist passiert?« fragte er.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Aber sie haben dich gesucht. Und du hattest wie üblich dein Handy nicht bei dir.«
»Wer hat nach mir gesucht?«
»Alle.«
Wallander verlor die Geduld. »Wer alle? Sei ein bißchen präziser!«
»Martinsson und Lisa.«
Wallander ging auf direktem Weg zu Martinssons Zimmer. Hansson war auch da.
»Was ist passiert?« fragte Wallander.
Martinsson antwortete. »Sonja Hökberg ist abgehauen.«
Wallander starrte ihn ungläubig an. »Abgehauen?«
»Vor einer knappen Stunde. Wir haben alles denkbare Personal draußen und suchen nach ihr. Aber sie ist verschwunden.«
Wallander sah seine Kollegen an.
Dann zog er seine Jacke aus und setzte sich.
|65| 6
Wallander brauchte nicht lange, um zu verstehen, was geschehen war.
Jemand war nachlässig gewesen. Jemand hatte in eklatanter Weise gegen seine Dienstvorschriften verstoßen. Aber vor allem hatte jemand vergessen, daß Sonja Hökberg nicht nur ein junges Mädchen mit vertrauenerweckendem Aussehen war. Sie hatte vor zwei Tagen einen brutalen Mord begangen.
Das Geschehen war leicht zu rekonstruieren. Sonja Hökberg sollte nach einer Unterredung mit ihrem Anwalt in die Arrestabteilung zurückgebracht werden. Während sie wartete, hatte sie darum gebeten, zur Toilette gehen zu dürfen. Als sie wieder herauskam, hatte sie bemerkt, daß der Wachbeamte, der sie begleitete, ihr den Rücken zuwandte und sich mit jemandem unterhielt, der sich in einem anliegenden Büro befand. Da war sie in die andere Richtung gegangen. Niemand hatte versucht, sie aufzuhalten. Sie war einfach durch die Anmeldung hinausspaziert. Keiner hatte sie gesehen. Irene nicht, niemand. Nach ungefähr fünf Minuten war der Wachmann in die Toilette gegangen und hatte entdeckt, daß Sonja Hökberg nicht dort war. Er war daraufhin zu dem Zimmer zurückgegangen, in dem sie die Unterredung mit ihrem Anwalt gehabt hatte. Erst als er einsah, daß sie nicht dorthin zurückgegangen war, hatte er Alarm geschlagen. Sonja Hökberg hatte zehn Minuten Zeit gehabt zu verschwinden. Und das reichte.
Wallander stöhnte. Seine Kopfschmerzen kamen wieder.
»Ich habe alle verfügbaren Leute losgeschickt«, sagte Martinsson. »Und ich habe ihren Vater angerufen. Du warst gerade gegangen. Ist bei deinem Gespräch etwas herausgekommen, was dich auf eine Idee bringt, wohin sie möglicherweise will?«
»Ihre Mutter ist bei einer Schwester in Höör.«
|66| Er gab Martinsson den Zettel mit der Telefonnummer.
»Dahin kommt sie aber kaum zu
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