Wallander 08 - Die Brandmauer
wunderte sich über Tynnes Falks merkwürdige Persönlichkeit. Über den geheimen Raum mit dem Altar, auf dem sein Foto wie ein Götzenbild aufgestellt war. Die Tatsache, daß niemand wußte, wo er seine Post bekam. Eine Aussage von Siv Eriksson hatte sich ihm besonders eingeprägt.
Tynnes Falk habe keins der lockenden Angebote, die er bekommen hatte, angenommen. Weil er es nicht nötig hatte.
Wallander schaute zur Uhr. Zwanzig vor zwölf. Es war zu spät, um anzurufen. Aber sein Gefühl sagte ihm, daß Marianne Falk noch nicht zu Bett gegangen war. Er blätterte in seinen Papieren, bis er ihre Telefonnummer gefunden hatte. Nach dem fünften |214| Klingeln war er bereit zu akzeptieren, daß sie schlief. Im gleichen Augenblick meldete sie sich. Er nannte seinen Namen und entschuldigte sich, weil er so spät noch anrief.
»Ich gehe nie vor eins ins Bett«, sagte Marianne Falk. »Aber es kommt natürlich selten vor, daß jemand gegen Mitternacht hier anruft.«
»Ich habe eine Frage«, sagte Wallander. »Hat Tynnes Falk ein Testament aufgesetzt?«
»Nicht, soweit ich weiß.«
»Kann es sein, daß ein Testament existiert, ohne daß Sie davon wissen?«
»Natürlich. Aber ich glaube es nicht.«
»Warum nicht?«
»Als wir uns trennten, haben wir eine für mich sehr vorteilhafte Regelung getroffen. Ich empfand es beinah wie einen Vorschuß auf ein Erbe, auf das ich nie einen Anspruch haben würde. Unsere Kinder beerben ihn ja automatisch.«
»Das war es, wonach ich fragen wollte.«
»Ist seine Leiche gefunden worden?«
»Noch nicht.«
»Und der Mann, der geschossen hat?«
»Der auch nicht. Das Problem ist, daß wir keine Personenbeschreibung haben. Wir wissen nicht einmal, ob es wirklich ein Mann war. Auch wenn Sie und ich das glauben.«
»Es tut mir leid, daß ich keine bessere Antwort geben konnte.«
»Wir werden natürlich trotzdem untersuchen, ob ein Testament existiert.«
»Ich habe sehr viel Geld bekommen«, sagte sie plötzlich. »Viele Millionen. Und die Kinder rechnen damit, daß für sie noch eine ganze Menge übrig ist.«
»Tynnes war also reich?«
»Es war eine totale Überraschung, daß er mir so viel geben konnte, als wir uns scheiden ließen.«
»Wie erklärte er sein großes Vermögen?«
»Er sagte, er habe ein paar lukrative Aufträge in den USA gehabt. Aber das stimmte natürlich nicht.«
»Warum nicht?«
|215| »Er war nie in den USA.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe einmal seinen Paß gesehen. Es war kein Visum drin. Keine Stempel.«
Er kann auch so Geschäfte mit den USA gemacht haben, dachte Wallander. Erik Hökberg sitzt in seiner Wohnung und verdient Geld in fernen Ländern. Das gleiche muß für Tynnes Falk gegolten haben.
Wallander entschuldigte sich noch einmal und beendete das Gespräch. Er gähnte. Es war zwei Minuten vor Mitternacht. Er zog die Jacke an und löschte das Licht.
Als er in die Anmeldung kam, steckte einer der Polizisten von der Nachtschicht den Kopf aus der Zentrale. »Ich glaube, ich habe hier was für dich«, sagte er.
Wallander schloß fest die Augen und hoffte, daß nichts passiert war, was ihn die Nacht über wachhalten würde. Er trat an die Tür. Der Polizist reichte ihm einen Telefonhörer.
»Da hat anscheinend jemand eine Leiche gefunden«, sagte er.
Nicht noch eine, dachte Wallander. Das gibt uns den Rest. Nicht jetzt.
Er nahm den Hörer entgegen. »Hier Wallander. Was ist denn passiert?«
Der Mann am anderen Ende war sehr aufgeregt. Er schrie. Wallander hielt den Hörer ein Stück vom Ohr weg. »Sprechen Sie langsam«, sagte er. »Ruhig und langsam. Sonst können wir nichts machen.«
»Ich heiße Nils Jönsson. Hier liegt ein toter Mann auf der Straße.«
»Wo denn?«
»In Ystad. Ich bin über ihn gestolpert. Er ist nackt und er ist tot. Es sieht gräßlich aus. So was muß ich mir nicht bieten lassen. Ich habe ein schwaches Herz.«
»Langsam, langsam und ruhig«, wiederholte Wallander. »Sie sagen, es liegt ein toter nackter Mann auf der Straße?«
»Hören Sie nicht, was ich sage?«
»Doch, ich höre. Welche Straße?«
»Verflucht, was weiß ich, wie der Parkplatz heißt.«
|216| Wallander schüttelte den Kopf. »Reden Sie von einem Parkplatz? Also keine Straße?«
»Es ist wohl beides.«
»Und wo?«
»Ich bin nur auf der Durchreise von Trelleborg. Ich will nach Kristianstad. Ich wollte tanken, und da lag er hier.«
»Sind Sie an einer Tankstelle? Von wo rufen Sie an?«
»Ich sitze im Wagen.«
Wallander hatte schon
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