Wallander 08 - Die Brandmauer
für tot erklärt. Ich denke, wir können den Körper umdrehen, ohne daß man uns eines Dienstvergehens bezichtigt.«
Martinsson wirkte unsicher. Aber Wallander war entschlossen. Er sah keine Veranlassung zu warten. Als Nyberg ein paar Bilder gemacht hatte, drehte er den Körper um. Martinsson zuckte zurück. Wallander brauchte ein paar Sekunden, um zu entdecken, warum. An jeder Hand fehlte ein Finger. Der Zeigefinger der rechten und der Mittelfinger der linken Hand fehlten. Wallander stand auf.
»Was sind das für Leute, mit denen wir es hier zu tun haben?« stöhnte Martinsson. »Leichenfledderer?«
|219| »Ich weiß es nicht. Aber natürlich hat das etwas zu bedeuten. Ebenso wie die Tatsache, daß jemand sich die Mühe macht, die Leiche zu rauben. Und sie dann hierhin zurückzulegen.«
Martinsson war bleich. Wallander nahm ihn beiseite. »Wir brauchen den Wachmann, der ihn beim erstenmal gefunden hat«, sagte er. »Wir müssen auch deren Zeitplan haben. Wann kommen sie hier vorbei? Dann können wir den Zeitpunkt bestimmen, an dem er hier gelandet ist.«
»Wer hat ihn diesmal gefunden?«
»Ein Mann namens Nils Jönsson aus Trelleborg.«
»Wollte er Geld abheben?«
»Er behauptet, er habe tanken wollen. Außerdem hat er ein schwaches Herz.«
»Es wäre gut, wenn er nicht jetzt und hier stürbe«, sagte Martinsson. »Ich glaube, das ertrüge ich nicht.«
Wallander ging zu dem Polizisten, der Nils Jönssons Aussage zu Protokoll genommen hatte. Wie von Wallander vorhergesehen, hatte Jönsson nichts beobachtet.
»Was sollen wir mit ihm machen?«
»Schick ihn weg. Wir brauchen ihn nicht mehr.«
Wallander sah, wie Nils Jönsson mit einem Kavaliersstart verschwand. Er fragte sich geistesabwesend, ob der Mann jemals in Kristianstad ankommen oder ob sein Herz unterwegs stehenbleiben würde.
Martinsson hatte mit der Wachgesellschaft gesprochen. »Um elf ist jemand hiergewesen«, sagte er.
Inzwischen war es halb eins. Wallander erinnerte sich, daß der Anruf von Nils Jönsson um Mitternacht eingegangen war. Der Mann hatte angegeben, daß es ungefähr Viertel vor zwölf gewesen sei, als er die Leiche entdeckt habe. Das konnte stimmen.
»Die Leiche hat höchstens eine Stunde hier gelegen«, sagte Wallander. »Und ich habe das bestimmte Gefühl, daß diejenigen, die ihn hierhin gelegt haben, wußten, wann die Wachmänner vorbeikommen.«
»›Die‹?«
»Einer allein bestimmt nicht«, sagte Wallander. »Davon bin ich überzeugt.«
|220| »Wie schätzt du die Möglichkeit ein, Zeugen zu finden?«
»Gering. Hier wohnt niemand, der etwas durch ein Fenster gesehen haben könnte. Und wer hält sich so spät abends schon hier auf?«
»Leute, die ihre Hunde ausführen.«
»Vielleicht.«
»Ihnen kann ein Wagen aufgefallen sein. Etwas Ungewöhnliches. Hundebesitzer sind Gewohnheitsmenschen, die gern Tag für Tag zur gleichen Zeit die gleiche Runde drehen. Die merken sich, wenn sie etwas sehen, was aus dem Rahmen fällt.«
Wallander stimmte zu. Es war einen Versuch wert.
»Wir schicken morgen abend jemand hierher«, sagte er. »Der vorbeikommende Hundebesitzer fragt. Oder Jogger.«
»Hansson liebt Hunde«, sagte Martinsson.
Ich auch, dachte Wallander. Aber ich bin trotzdem froh, wenn ich morgen abend nicht hier raus muß.
Ein Wagen bremste vor der Absperrung. Ein junger Mann in einem Trainingsanzug, der Martinssons glich, stieg aus. Wallander fragte sich, ob er bald von einer Fußballmannschaft umgeben wäre.
»Der Wachmann«, sagte Martinsson. »Von Sonntag nacht. Er hat heute frei.«
Er ging zu ihm, um mit ihm zu reden. Wallander kehrte zu der Leiche zurück.
»Jemand hat ihm zwei Finger abgeschnitten«, sagte Nyberg. »Es wird immer schlimmer.«
Wallander nickte. »Ich weiß, daß du kein Arzt bist. Aber hast du geschnitten gesagt?«
»Es sind glatte Schnittflächen. Natürlich kann es auch eine kräftige Zange gewesen sein. Das muß die Ärztin entscheiden. Sie ist unterwegs.«
»Susann Bexell?«
»Ich weiß nicht.«
Sie kam nach einer halben Stunde. Und es war Doktor Bexell. Wallander erklärte ihr die Situation. Gleichzeitig traf der Hundeführer ein, um nach den Fingern zu suchen.
»Ich weiß eigentlich nicht, was ich hier soll«, sagte die Ärztin, als Wallander geendet hatte. »Wenn er tot ist, ist er tot.«
|221| »Ich möchte, daß du dir seine Hände ansiehst. Es sind zwei Finger abgeschnitten worden.«
Nyberg hatte wieder angefangen zu rauchen. Wallander wunderte sich darüber, daß er
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