Wallander 08 - Die Brandmauer
konnte.
Sie versuchten, auf verschiedenen Wegen weiterzukommen. In verschiedenen Richtungen. Aber der Boden gab jedesmal unter ihnen nach.
»Ist es jemand, der falsche Fährten legt?« sagte Ann-Britt, als sie eine Pause machten, um sich die Beine zu vertreten und Luft zu schnappen. »Vielleicht ist im Grunde genommen alles ganz einfach? Wenn wir erst einmal das Motiv haben.«
»Was für ein Motiv?« fragte Martinsson. »Wer einen Taxifahrer beraubt, kann kaum dasselbe Motiv haben wie jemand, der ein Mädchen verschmoren läßt und halb Schonen verdunkelt. Außerdem wissen wir nicht einmal, ob dieser Falk wirklich erschlagen wurde. Mein Tip ist immer noch, daß er eines natürlichen Todes gestorben ist. Oder daß es ein Unfall war.«
»Eigentlich wäre es einfacher, wenn er ermordet worden wäre«, sagte Wallander. »Dann könnten wir sicher sein, daß dies hier wirklich eine zusammenhängende Kette von Verbrechen ist.«
Sie hatten das Fenster geschlossen und sich wieder gesetzt.
»Am schwerwiegendsten ist aber doch, daß jemand auf dich geschossen hat«, sagte Ann-Britt. »Trotz allem ist ein Einbrecher nur äußerst selten bereit, jemanden zu töten, der ihm über den Weg läuft.«
»Ich weiß nicht, ob es schwerwiegender ist als etwas anderes«, wandte Wallander ein. »Aber es ist auf jeden Fall ein Indiz dafür, |232| daß die Menschen, die dahinterstecken, keinerlei Rücksichten kennen. Was immer sie erreichen wollen.«
Sie drehten und wendeten das Material noch eine Weile. Wallander sagte nicht viel. Aber er hörte aufmerksam zu. Es war schon häufig vorgekommen, daß eine widerspenstige Ermittlung sich plötzlich durch ein paar hingeworfene Worte, einen Nebensatz oder einen zufälligen Kommentar um ihre eigene Achse gedreht hatte. Sie suchten Eingänge und Ausgänge, und vor allem nach einem Zentrum. Einem Kern, den sie dort einsetzen konnten, wo jetzt nur ein großes schwarzes Loch war. Es war mühsam und anstrengend, ein einziger langer und immer länger werdender Berghang.
Die letzte Stunde verbrachten sie damit, ihre Merklisten durchzukämmen und die anstehenden Aufgaben nach ihrer Dringlichkeit zu ordnen.
Kurz vor elf sah Wallander ein, daß sie jetzt kaum noch weiterkommen würden. »Die Sache wird sich hinziehen«, sagte er. »Möglicherweise müssen wir mehr Personal anfordern. Ich spreche auf jeden Fall mit Lisa darüber. Aber es macht nicht viel Sinn, jetzt noch länger hier zu sitzen. Obwohl keiner von uns sich das Wochenende freinehmen kann. Wir müssen weiterstrampeln.«
Hansson verschwand, um mit dem Staatsanwalt zu sprechen, der einen Lagebericht angefordert hatte. Schon vorher hatte Wallander Martinsson während einer Pause gebeten, nach der Sitzung mit in Falks Wohnung am Runnerströms Torg zu kommen. Martinsson ging in sein Zimmer, um zuerst zu Hause anzurufen. Nyberg saß am Tischende und raufte sich die Haare. Dann erhob er sich und verließ den Raum ohne ein Wort. Nur Ann-Britt war noch da. Wallander sah, daß sie unter vier Augen mit ihm sprechen wollte. Er schob die Tür zu.
»Ich habe über eine Sache nachgedacht«, begann sie. »Dieser Mann, der geschossen hat.«
»Was ist mit dem?«
»Er hat dich gesehen. Und er schoß, ohne zu zögern.«
»Daran will ich lieber gar nicht denken.«
»Vielleicht solltest du das aber.«
|233| Wallander betrachtete sie gespannt. »Wie soll ich das verstehen?«
»Ich denke nur, daß du vielleicht ein bißchen vorsichtig sein solltest. Es kann natürlich sein, daß er überrascht wurde. Aber man kann wohl nicht ganz ausschließen, daß er glaubt, du wüßtest etwas. Und es noch einmal versucht.«
Wallander war erstaunt darüber, daß der Gedanke ihm selbst noch nicht gekommen war. Er bekam sofort Angst.
»Nicht daß ich dir Angst einjagen will«, fügte sie hinzu, »aber sagen muß ich es ja.«
Er nickte. »Ich werde daran denken. Fragt sich nur, was es ist, das ich seiner Ansicht nach wissen könnte.«
»Vielleicht hat er sogar recht. Und du hast etwas gesehen, ohne dir dessen bewußt zu sein.«
Wallander war ein anderer Gedanke gekommen. »Wir sollten die Apelbergsgata und Runnerströms Torg überwachen lassen. Keine Streifenwagen, sehr diskret. Nur sicherheitshalber.«
Sie war seiner Meinung und ging, um die Überwachung zu veranlassen. Wallander blieb mit seiner Angst allein. Er dachte an Linda. Dann zuckte er mit den Schultern und ging zur Anmeldung hinunter, um auf Martinsson zu warten.
Um kurz vor halb zwölf betraten
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