Wallander 09 - Der Feind im Schatten
man sie, die senile Alte. Sie war in guter Verfassung, wenn ich es recht verstanden habe. Aber dann hatten zwei der Suchenden sich verlaufen. Kannst du dir das vorstellen? Und sie hatten einen so schwachen Akku in ihrem Handy, dass man sich anschließend auf die Suche nach ihnen machen musste. Man fand sie, aber auf dem Rückweg entdeckte man noch jemanden.«
»Louise?«
»Ja. Sie lag neben einem Waldpfad, ungefähr drei Kilometervon der nächsten Straße entfernt. Der Pfad führt durch einen Kahlschlag. Ich bin gerade von dort zurückgekommen.«
»Ist sie ermordet worden?«
»Nein. Sie hat aller Wahrscheinlichkeit nach Selbstmord begangen. Keine Spuren von Gewaltanwendung, sie hat eine Überdosis genommen. Wir haben eine leere Pillenschachtel für Schlaftabletten gefunden. Wenn die Schachtel voll gewesen ist, muss sie ungefähr hundert Tabletten geschluckt haben.«
»Es besteht also kein Zweifel an einem Selbstmord?«
»Nein, bisher nicht. Aber wir müssen natürlich die gerichtsmedizinische Untersuchung abwarten.«
»Wie sah sie aus?«
»Sie lag auf der Seite. Leicht gekrümmt. Rock, graue Bluse, Mantel, die Schuhe standen neben ihrem Körper. Außerdem lag eine Handtasche mit Papieren und Schlüsseln neben ihr. Irgendein Tier hat sie beschnüffelt, aber der Körper war unversehrt.«
»Kannst du sagen, wo genau auf Värmdö?«
Ytterberg erklärte es und wollte eine Skizze mailen. »Ich schicke sie sofort.«
»Keine Spur von Håkan?«
»Nichts.«
»Warum hat sie diese Stelle gewählt? Einen Kahlschlag?«
»Ich weiß es nicht. Von einem Tod in Schönheit kann man wirklich nicht sprechen. Umgeben von trockenem Geäst und Baumstümpfen. Ich schicke dir die Karte. Ruf mich an, wenn was ist.«
»Was ist mit deinem Urlaub?«
»Es ist nicht das erste Mal, dass ich einen verschiebe.«
Die Kartenskizze kam nach wenigen Minuten. Mit der Hand am Telefonhörer, zögerte Wallander. Alle Polizisten, die er kannte, spürten diese Beklemmung, wenn sie eine Todesnachricht überbringen mussten. Das wurde nie Routine.
Der Tod störte immer, wann er auch kam.
Er wählte die Nummer und spürte, wie seine Hand zitterte.
Linda meldete sich. »Du schon wieder? Haben wir nicht gerade telefoniert? Ist alles in Ordnung?«
»Bei mir ja. Bist du allein?«
»Hans wechselt Klara gerade die Windeln. Habe ich nicht gesagt, dass ich ihm ein Ultimatum gestellt habe?«
»Das hast du. Setz dich jetzt lieber und hör mir zu.«
Sie merkte an seiner Stimme, dass es etwas Ernstes war, und sie wusste, dass er nie übertrieb.
»Louise ist tot. Sie hat vor ein paar Tagen Selbstmord begangen. Man hat sie heute Nacht oder am frühen Morgen auf einem Kahlschlag in den Wäldern auf Värmdö gefunden.«
Sie schwieg.
»Ist das wirklich wahr?«, sagte sie schließlich.
»Es scheint kein Zweifel zu bestehen. Aber von Håkan gibt es keine Spur.«
»Das ist ja entsetzlich.«
»Wie wird Hans es aufnehmen?«
»Ich weiß nicht. Ist es wirklich sicher?«
»Ich würde ja nicht anrufen, wenn Louise nicht identifiziert worden wäre.«
»Ich meine, dass sie Selbstmord begangen hat? Das passt nicht zu ihr. So war sie nicht.«
»Geh jetzt und rede mit Hans. Wenn er mit mir direkt sprechen will, kann er mich zu Hause anrufen. Ich kann ihm auch die Nummer der Polizei in Stockholm geben.«
Wallander wollte das Gespräch beenden, doch Linda hielt ihn noch zurück. »Wo ist sie die ganze Zeit gewesen? Warum nimmt sie sich gerade jetzt das Leben?«
»Darauf kann ich ebenso wenig antworten wie du. Lass uns hoffen, bei aller Tragik, dass dies uns helfen kann, Håkan zu finden. Aber darüber sprechen wir später.«
Wallander beendete das Gespräch und rief im Niklasgård an. Artur Källberg hatte Urlaub, die Frau in der Anmeldung ebenso, aber schließlich bekam Wallander eine Ferienvertretung an den Apparat. Sie wusste überhaupt nichts von Signe von Enkes langer Geschichte, und er hatte das unangenehme Gefühl, mit einer Wand zu sprechen. Aber vielleicht war das gerade in diesem Zusammenhang ein Vorteil, dachte er.
Wallander hatte kaum aufgelegt, als Hans anrief. Er war erschüttert und den Tränen nahe. Wallander antwortete geduldig auf seine Fragen und versprach, sich zu melden, sobald es etwas Neues gebe.
Linda übernahm den Hörer. »Ich glaube, er versteht es noch nicht«, sagte sie mit gesenkter Stimme.
»Das tut keiner von uns.«
»Was hat sie genommen?«
»Schlafmittel. Ytterberg hat den Namen nicht erwähnt. Rohypnol vielleicht? Heißt
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