Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Voraussetzungen fehlten.
Er fuhr zurück in die Stadt, parkte in der Grevgata und ging in die Wohnung hinauf. Still wanderte er durch die verlassenen Räume, hob die Post auf, die sich unter dem Briefschlitz in der Eingangstür angesammelt hatte, und suchte die Rechnungen heraus, die Hans bezahlen würde. Noch funktionierte die Nachsendung der Post nicht. Er ging die Briefe durch, um zu sehen, ob etwas Überraschendes dabei war, fand jedoch nichts. Da die Wohnung nach abgestandener Luft roch und Wallander Kopfschmerzen hatte, vermutlich von dem billigen Rotwein, den er am Abend zuvor getrunken hatte, öffnete er vorsichtig ein Fenster zur Straße. Er warf einen Blick auf den Anrufbeantworter. Das rote Licht, das eingegangene Gespräche anzeigte, blinkte. Er hörte das Band ab. Märta Hörnelius möchte wissen, ob Louise von Enke an einem Literaturkreis über deutsche Klassiker interessiert ist, der im Herbst beginnt. Das war alles. Louise von Enke wird an keinem Literaturkreis mehr teilnehmen, dachte Wallander.
Er machte Kaffee in der Küche, sah nach, ob etwas im Kühlschrank lag, was verdorben roch, und betrat dann das Zimmer von Louise mit den beiden großen Kleiderschränken.Er nahm alle Schuhe heraus, die dort aufgereiht waren, trug sie in die Küche und stellte sie auf den Küchentisch. Am Ende waren es zweiundzwanzig Paar, dazu zwei Paar Gummistiefel. Um für alle Schuhe Platz zu haben, musste er auch die Arbeitsplatte und die Spüle benutzen. Er setzte die Brille auf und untersuchte methodisch Schuh für Schuh. Auffallend waren die Schuhgröße und die Tatsache, dass sie nur exklusive Marken gekauft hatte. Selbst die Gummistiefel waren von einer italienischen Marke, die Wallander für teuer hielt. Wonach er suchte, wusste er nicht. Aber nicht nur er, sondern auch Linda hatte darauf reagiert, dass sie die Schuhe ausgezogen und neben sich gestellt hatte, bevor sie starb. Es sollte ordentlich aussehen, dachte Wallander. Aber warum?
Er brauchte eine halbe Stunde für die Schuhe. Dann rief er Linda auf ihrem Handy an. Er erzählte von seinem Besuch auf Värmdö. »Wie viele Paar Schuhe hast du?«, fragte er.
»Das weiß ich nicht.«
»Louise hat zweiundzwanzig Paar, abgesehen von dem, das bei der Polizei ist. Ist das viel oder wenig?«
»Es klingt angemessen. Louise achtete auf ihre Kleidung.«
»Das wollte ich nur wissen.«
»Gibt es sonst nichts, was du erzählen kannst?«
»Nicht im Moment.«
Trotz ihrer Proteste beendete er das Gespräch und rief Ytterberg an. Zu Wallanders Verwunderung meldete sich ein kleines Kind.
Danach kam Ytterberg. »Meine Enkeltochter liebt es, ans Telefon zu gehen. Ich habe sie heute mit ins Büro genommen.«
»Ich will dich nicht stören, aber ich habe eine Frage, die mir nicht aus dem Kopf geht.«
»Du störst nicht. Aber hattest du nicht auch Urlaub? Oder habe ich etwas missverstanden?«
»Ich habe Urlaub.«
»Was willst du wissen? Etwas, was neues Licht auf Louise von Enkes Tod wirft, habe ich nicht. Wir warten darauf, was die Ärzte zu sagen haben.«
Wallander fiel plötzlich das Wasser ein, über das er nachgedacht hatte. »Eigentlich habe ich zwei Fragen. Die erste ist einfach. Wenn sie so viele Tabletten geschluckt hat, muss sie da nicht etwas getrunken haben?«
»Es lag eine halbleere Literflasche Mineralwasser neben ihr. Habe ich das nicht gesagt?«
»Das hast du bestimmt. Aber ich habe vielleicht nicht aufmerksam genug zugehört. War es Ramlösa?«
»Loka, glaube ich. Aber ich bin nicht sicher. Ist es wichtig?«
»Überhaupt nicht. Dann habe ich noch eine Frage wegen der Schuhe.«
»Sie waren ordentlich hingestellt.«
»Kannst du sie beschreiben?«
»Braun, flacher Absatz, neu, glaube ich.«
»Wirkt es wahrscheinlich, dass sie diese Schuhe trug, um an diese Stelle zu gehen?«
»Es waren nicht gerade Ballschuhe, die da standen.«
»Aber sie waren neu?«
»Ja. So sah es aus.«
»Dann habe ich keine Fragen mehr.«
»Ich melde mich, sobald der Gerichtsmediziner sich geäußert hat. Aber das kann dauern, jetzt im Sommer.«
»Habt ihr übrigens eine Ahnung, wie sie dort hinausgekommen ist?«
»Nein«, sagte Ytterberg. »Darauf haben wir noch keine Antwort.«
»Es war auch nur so eine Frage. Vielen Dank noch einmal.«
Wallander saß in der stillen Wohnung und hielt den Hörer umklammert, als wäre er sein letzter Halt im Leben. Braune Schuhe, neu. Keine Ballschuhe. Langsam und nachdenklich begann er, die Schuhe in den Kleiderschrank
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