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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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es nicht so?«
    »Sie hat nie Schlaftabletten genommen.«
    »Die meisten Frauen, die Selbstmord begehen wollen, nehmen Schlaftabletten.«
    »Du hast eben etwas gesagt, was mich stutzig macht.«
    »Was denn?«
    »Hatte sie wirklich die Schuhe ausgezogen?«
    »Ytterberg zufolge ja.«
    »Ist das nicht seltsam? Wäre sie zu Hause gewesen, könnte ich es verstehen. Aber warum zieht man die Schuhe aus, wenn man sich im Freien hinlegt, um zu sterben?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Hat er gesagt, was für Schuhe es waren?«
    »Nein. Aber ich habe auch nicht danach gefragt.«
    »Du musst uns alles sagen«, meinte sie schließlich.
    »Warum sollte ich euch etwas vorenthalten?«
    »Du vergisst manchmal, etwas zu sagen. Vielleicht ist es auch falsch verstandene Rücksicht. Wann werden die Zeitungen davon erfahren?«
    »Das kann jeden Augenblick sein. Sieh im Teletext nach. Die sind meistens die Ersten.«
    Wallander wartete mit dem Hörer in der Hand.
    Nach einer Minute war sie zurück. »Es steht schon da. ›Louise von Enke tot aufgefunden. Keine Spur des Mannes.‹«
    »Wir reden später weiter.«
    Wallander schaltete seinen Fernseher ein und musste feststellen, dass die Neuigkeit groß aufgemacht war. Aber wenn nichts eintraf, was das Bild veränderte oder vertiefte, würde Louise von Enkes Tod bald wieder in den Hintergrund rücken.
    In den nächsten Stunden widmete sich Wallander seinem Garten. Er hatte in einem Baumarkt eine im Preis herabgesetzte Heckenschere gekauft, merkte aber bald, dass das Gerät nahezu unbrauchbar war. Er trimmte Büsche und schnitt einige der teilweise vertrockneten alten Obstbäume zurück, obwohl er sehr wohl wusste, dass man das nicht im Sommer tun sollte. Seine Gedanken waren bei Louise. Er hatte sie nicht wirklich kennengelernt. Was wusste er eigentlich von ihr? Von der Frau, die mit einem schwachen Lächeln den Gesprächen lauschte, die bei Tisch geführt wurden, aber äußerst selten selbst etwas sagte? Sie war Deutschlehrerin gewesen, vielleicht auch Lehrerin für andere Sprachen. Er erinnerte sich im Moment nicht und wollte nicht ins Haus gehen, um in seinen Notizen nachzusehen.
    Sie hat eine Tochter zur Welt gebracht, dachte er. Schon auf der Geburtsstation hat sie von der schweren Behinderung ihres Kindes erfahren, der Tochter, der sie den Namen Signe gaben und die niemals ein normales Leben würde führen können. Es war ihr erstes Kind. Wie wirkt sich eine solche Erfahrung auf eine Mutter aus? Er ging mit seiner untauglichen Heckenschere umher und fand keine Antworten. Aber er spürte auch keine tiefere Trauer. Die Toten konnte man nicht bedauern. Was Hans und Linda fühlten,ahnte er. Und da war auch Klara, die diese Großmutter nicht mehr kennenlernen würde.
    Jussi kam und lahmte, er hatte einen Dorn in der linken Vorderpfote. Wallander holte eine Pinzette, setzte die Brille auf und zog den Dorn heraus. Jussi zeigte seine Dankbarkeit, indem er wie ein schwarzer Strich am Ackerrand entlangschoss. Ein Segelflugzeug schwebte in geringer Höhe über Wallanders Haus. Er folgte ihm mit blinzelndem Blick. Das Urlaubsgefühl wollte sich nicht einstellen. Die ganze Zeit sah er Louise vor sich, neben einem Pfad liegend, der sich durch einen Kahlschlag schlängelte. Und neben ihr ein Paar Schuhe, ordentlich hingestellt.
    Er warf die Heckenschere in den Schuppen und legte sich in die Hollywoodschaukel. Das Segelflugzeug verschwand. In einiger Entfernung arbeiteten Traktoren. Autogeräusche von der Landstraße kamen und gingen in Wellen. Er setzte sich auf. Es war sinnlos. Es gab keinen Urlaub, bevor er nicht mit eigenen Augen nachgesehen hatte. Noch einmal musste er nach Stockholm reisen.
     
    Wallander flog noch am selben Abend, nachdem er Jussi wieder zum Nachbarn gebracht hatte, der freundlich, aber nicht ohne Ironie fragte, ob er den Hund inzwischen leid sei. Vom Flugplatz rief er Linda an, die nicht erstaunt war. Sie habe das von ihm erwartet.
    »Mach viele Fotos«, sagte sie. »Etwas stimmt an der Sache nicht.«
    »Nichts stimmt«, sagte Wallander. »Deshalb fliege ich hin.«
    Während des Flugs quälten ihn schreiende Kinder in der Reihe hinter ihm. Er hielt sich die Ohren zu. In einem kleineren Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofs bekam er ein freies Zimmer. Als er eintrat, setzte ein heftiger Platzregen ein. Durchs Fenster sah er, wie die Menschen eilig Schutz suchten. Kann Einsamkeit größer sein?, ging es ihm durchden Kopf. Regen, Hotelzimmer, hier bin ich, sechzig Jahre alt. Wenn ich

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