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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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mich umdrehe, ist keiner da. Er fragte sich, wie es Mona ging. Wahrscheinlich ist ihre Einsamkeit ebenso groß wie meine, dachte er. Vermutlich schwerer zu ertragen, weil sie es nicht lassen kann, sie mit allem, was sie in sich hineinschüttet, zu verbergen.
    Als der Regen aufhörte, ging er hinüber zum Bahnhof und kaufte eine detaillierte Stockholm-Karte. Telefonisch bestellte er einen Mietwagen für den nächsten Tag. Jetzt im Sommer war die Nachfrage nach Mietwagen groß, und er konnte nur einen ziemlich teuren bekommen. Aber er sagte zu. In Gamla Stan aß er zu Abend. Er trank Rotwein und erinnerte sich plötzlich an einen Sommer vor vielen Jahren, als er eine Frau getroffen hatte, kurz nach der Scheidung von Mona. Sie hieß Monika und war bei Freunden in Ystad zu Besuch. Sie waren sich auf einer trostlosen Tanzveranstaltung begegnet. Sie hatten beschlossen, sich in Stockholm wiederzutreffen und gemeinsam essen zu gehen. Schon während der Vorspeise war ihm klargeworden, dass es ein Irrtum war. Sie hatten sich nichts, absolut nichts zu sagen, die Gesprächspausen wurden immer länger, und er hatte sich einen kräftigen Schwips angetrunken. Jetzt trank er still auf die Erinnerung an sie und hoffte, dass es ihr im Leben gut ergangen war. Er war angesäuselt, als er das Restaurant verließ, streifte durch die Gassen, kam auf Skeppsbron heraus und kehrte zu seinem Hotel zurück. In der Nacht träumte er wieder von Pferden, die ins Meer hinausgaloppierten. Als er am Morgen erwachte, suchte er sein Blutzuckermessgerät und stach sich in den Finger. 5,5. Der Wert war in Ordnung. Der Tag hatte gut angefangen.
     
    Als er gegen zehn Uhr die Stelle auf Värmdö suchte, an der Louise von Enkes Körper gefunden worden war, lastete eine schwere Wolkendecke über Stockholm und der Umgebung. Es lagen noch Reste von Absperrband herum, als er schließlichan den Fundort gelangte. Der Boden war vom Regen durchweicht, aber Wallander erkannte noch Spuren der Markierungen, mit denen die Polizei die Lage der Leiche gekennzeichnet hatte.
    Wallander stand reglos da, hielt den Atem an, lauschte. Der erste Eindruck war immer der wichtigste. Mit einer langsamen Kreisbewegung blickte er sich um. Der Fundort lag in einer flachen Senke, die von Felsblöcken und leichten Bodenerhebungen umgeben war. Wenn sie sich hierhin gelegt hatte, um nicht gesehen zu werden, dann hatte sie den richtigen Platz gewählt.
    Er dachte an die Rosen. Lindas Worte, als sie ihm zum ersten Mal von ihrer zukünftigen Schwiegermutter erzählt hatte. Eine Frau, die Blumen liebt, die immer von einem schönen Garten geträumt hat, eine Frau mit grünem Daumen . Das hatte Linda gesagt. Er erinnerte sich deutlich. Dies hier war sehr weit entfernt von einem schönen Garten. Hatte sie deshalb diesen Platz gewählt? Weil der Tod nicht schön war, nichts, was mit Rosen und einem gepflegten Garten zu tun hatte? Er umkreiste den Fundort und betrachtete ihn von verschiedenen Seiten. Das letzte Stück muss sie gegangen sein, dachte er. Von da, wo mein Auto steht. Aber wie kam sie dahin? Mit dem Bus? Einem Taxi? Hat jemand sie hergefahren?
    Er ging zu einem alten Hochsitz mitten im Kahlschlag. Die Sprossen waren morsch. Er kletterte vorsichtig hinauf. Zigarettenkippen, eine tote Maus und ein paar leere Bierdosen lagen herum. Er kletterte wieder hinunter und setzte seine Wanderung fort. Versuchte sich vorzustellen, es wäre sein eigener Selbstmord. Ein einsamer Platz, voller Gestrüpp, hässlich, eine Schachtel Schlaftabletten. Er hielt inne. Hundert Schlaftabletten . Ytterberg hatte nichts von einer Wasserflasche gesagt. Konnte man so viele Tabletten schlucken, ohne zu trinken? Er ging noch einmal den Weg zurück, auf dem er gekommen war, trat in seine eigenenFußspuren und kontrollierte, ob er beim ersten Mal etwas übersehen hatte. Ebenso intensiv, wie er den Boden absuchte, versuchte er in seine eigenen, doch vor allem in Louises Gedanken einzudringen, in die Gedanken der stillen Frau, die freundlich und wohlwollend zuhörte, wenn andere Menschen sprachen.
    In diesem Moment wurde Wallander erst richtig klar, dass er sich nur in den Randbezirken einer Welt befand, von der er eigentlich nichts wusste. Es war die Welt von Håkan und Louise, nicht seine. Was er während dieses Augenblicks in dem Kahlschlag sah und empfand, war nichts Greifbares, erst recht keine Offenbarung. Es war das Gefühl, sich in der Nähe von etwas zu befinden, was er nicht verstand, weil ihm die

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