Wallander 09 - Der Feind im Schatten
keine wirklich modernen amerikanischen U-Boote durch den Öresund bringen konnte, die die Russen nicht sofort entdeckt hätten. Deshalb musste man sich bedeutend weniger auffällige Methoden ausdenken. Mini-U-Boote und dergleichen. Man hatte also keine exakte Information. Wo lag das Kabel? Mitten in der Ostsee? Oder hatte man die kürzeste Strecke aus dem Finnischen Meerbusen und hinunter ins Baltikum gewählt? Vielleicht waren die Russen noch listiger und hatten es bei Gotland verlegt, wo niemand damit rechnen würde. Man suchte weiter, und die Absicht war natürlich, die Schwester des Abhörzylinders, den man schon bei Kamtschatka eingesetzt hatte, daran anzubringen.«
»Also den, der jetzt auf meinem Küchentisch liegt?«
»Wenn es der denn ist. Es spricht ja nichts dagegen, dass es mehrere gibt.«
»Dennoch wird das Ganze so eigentümlich. Heute existiert die russische Großmacht nicht mehr. Die baltischen Länder sind wieder frei, die Ostdeutschen mit dem Westen vereinigt. Eine solche Abhörvorrichtung sollte eigentlich in einem Museum des Kalten Krieges landen.«
»So könnte man meinen. Ich kann darauf keine Antwort geben. Ich kann dir nur sagen, was du da in deinem Besitz hast.«
Sie setzten ihren Spaziergang fort. Erst als sie sich wieder im Garten befanden, stellte Wallander die wichtigste Frage:»Wohin bringt uns das jetzt in Bezug auf Håkan und Louise von Enke?«
»Ich weiß es nicht. Mir wird das Ganze immer unbegreiflicher. Was wolltest du mit dem Zylinder machen?«
»Ich werde Kontakt zur Stockholmer Kripo aufnehmen. Schließlich sind sie es, die in diesem Fall ermitteln. Was sie dann gemeinsam mit der Sicherheitspolizei und dem Militär beschließen, ist nicht mehr meine Sache.«
Um elf Uhr fuhr Wallander Sten Nordlander zurück zum Flugplatz Sturup. Sie trennten sich vor dem gelben Flughafengebäude. Noch einmal, und wieder vergebens, versuchte Wallander, die Reisekosten zu übernehmen.
Sten Nordlander schüttelte nur den Kopf. »Ich will wissen, was passiert ist. Vergiss nicht, dass Håkan mein bester Freund ist. Ich denke jeden Tag an ihn. Und an Louise.«
Er nahm seine Tasche und verschwand. Wallander fuhr zurück.
Zu Hause fühlte er sich wie erschlagen und fragte sich, ob die Erkältung noch einmal zurückkam. Er beschloss zu duschen.
Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, dass es ihm schwerfiel, den Plastikvorhang zuzuziehen.
Als er aufwachte, befand er sich in einem Krankenhauszimmer. Linda stand am Fußende des Bettes. In seinem Handrücken steckte eine Kanüle, durch die ihm intravenös eine Flüssigkeit zugeführt wurde.
Er hatte keine Ahnung, warum er da lag, wo er lag. »Was ist passiert?«
Linda berichtete so sachlich, als läse sie aus einem polizeilichen Protokoll ab. Ihre Worte lösten keine Erinnerungsbilder bei ihm aus, füllten nur die Leere. Sie hatte ihn gegen sechs Uhr angerufen, ohne dass er sich meldete, danach noch ein paar Mal, bis zehn Uhr. Da war sie so beunruhigt, dass sie Klara bei Hans gelassen hatte, der ausnahmsweise zuHause war, und nach Löderup hinausgefahren war. Dort hatte sie ihn in der Dusche gefunden, klatschnass und bewusstlos. Sie hatte den Notarzt angerufen und ihn sogleich auf die richtige Spur gebracht. Im Krankenhaus hatte man schnell erkannt, dass er einen Insulinschock erlitten hatte. Sein Blutzucker war so stark abgesunken, dass er das Bewusstsein verlor.
»Ich weiß noch, dass ich Hunger hatte«, sagte Wallander langsam, als sie geendet hatte. »Aber ich habe nichts gegessen.«
»Du hättest sterben können«, sagte Linda.
Er sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. Wäre sie nicht zu ihm nach Hause gefahren, hätte sie nicht eine schlimme Ahnung gehabt, hätte er sehr leicht dort in der Dusche sterben können. Ein Schütteln durchfuhr ihn. Sein Leben hätte dort enden können, nackt auf einem Kachelfußboden.
»Du lässt dich gehen, Papa«, sagte sie. »Eines Tages wird es einmal zu viel gewesen sein. Du musst schon dafür sorgen, dass Klara mindestens fünfzehn Jahre lang einen Großvater hat. Danach kannst du mit deinem Leben machen, was du willst.«
»Ich begreife nur nicht, wie das passieren konnte. Es ist nicht das erste Mal, dass mein Blutzucker zu niedrig gewesen ist.«
»Darüber musst du mit dem Arzt reden. Ich rede mit dir über deine Pflicht, weiterzuleben.«
Er nickte nur, jedes Wort, das er sprach, strengte ihn an. Eine eigentümlich hallende Müdigkeit erfüllte ihn. »Was ist das für eine Infusion?«,
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