Wallander 09 - Der Feind im Schatten
zurückzutragen.
Früh am nächsten Tag fuhr er wieder nach Ystad. Am Nachmittag brachte er die Heckenschere in den Baumarkt zurück und erklärte, sie sei unbrauchbar. Weil er dabei, was sonst nicht seine Art war, aufbrausend wurde und weil einer der Chefs wusste, wer er war, gab man ihm eine bessere Schere, ohne dass er nachzahlen musste.
Als er nach Hause kam, hatte Ytterberg angerufen. Wallander rief zurück.
»Du hast mich nachdenklich gemacht«, sagte Ytterberg. »Ich habe mir diese Schuhe noch einmal angesehen. Es ist so, wie ich gesagt habe. Sie waren fast ungetragen.«
»Du hättest dir meinetwegen nicht solche Mühe zu machen brauchen.«
»Eigentlich habe ich auch nicht der Schuhe wegen angerufen«, fuhr Ytterberg ungerührt fort. »Aber weil ich gerade dabei war, habe ich mir ihre Handtasche noch einmal genauer angesehen. Und da habe ich entdeckt, dass sie noch eine Innentasche hatte, beinahe wie ein Geheimfach. Und darin steckte etwas äußerst Interessantes.«
Wallander hielt den Atem an.
»Papiere«, sagte Ytterberg. »Dokumente. In Russisch. Außerdem Material auf Mikrofilm. Worum es sich dabei handelt, kann ich nicht sagen. Aber es war Grund genug, zum Telefon zu greifen und unsere geheimen Kollegen anzurufen.«
Wallander fiel es schwer, zu begreifen, was er gerade gehört hatte. »Das würde bedeuten, dass sie geheimes Material bei sich hatte?«
»Das wissen wir nicht. Aber Mikrofilm ist Mikrofilm, Geheimfächer sind Geheimfächer. Und Russisch ist Russisch. Ich wollte nur, dass du es weißt. Es sollte vielleicht vorläufig unter uns bleiben. Bis wir wissen, worum es sich wirklichhandelt. Ich rufe wieder an, wenn es Neues zu berichten gibt.«
Nachdem er aufgelegt hatte, ging Wallander hinaus und setzte sich in den Garten. Es war wieder warm geworden. Ein schöner Sommerabend stand bevor.
Er selbst jedoch fröstelte.
TEIL 3
Dornröschenschlaf
21
Wallander hatte keineswegs vor, sein Versprechen zu halten. Er beschloss vielmehr, sofort mit Linda und Hans zu sprechen. Vor der Wahl, entweder den schwedischen Sicherheitsdienst oder seine Familie zu respektieren, zögerte er keinen Moment. Er würde Linda und Hans Wort für Wort erzählen, was er gehört hatte. Das war er ihnen schuldig.
Wallander blieb lange sitzen. Seine erste Reaktion war gewesen, dass etwas an der Sache nicht stimmen konnte. Der Gedanke war absurd. Louise von Enke eine Spionin für Russland? Auch wenn die Polizei sonderbare Dokumente in ihrer Tasche gefunden hatte, noch dazu in einem Geheimfach, konnte er es nicht glauben.
Aber warum sollte Ytterberg anrufen und ihm etwas erzählen, was nicht stimmte? Wallander hatte nach ihrem kurzen Treffen Vertrauen zu ihm gefasst. Er hätte ihn nicht angerufen, wenn er seiner Sache nicht sicher wäre.
Wallander sah, was er tun musste. Es würde Louise nicht helfen, wenn er sie zu schützen versuchte, indem er Fakten abstritt. Er musste Ytterbergs Bericht ernst nehmen. Was auch später als Erklärung für diese Fakten auftauchte, es würde nicht bedeuten, dass Ytterbergs Darlegung falsch war, eher sollten – oder mussten – andere Schlüsse daraus gezogen werden.
Er fuhr im Auto zu Linda und Hans. Der Kinderwagen stand im Schatten unter einem Baum, die Eltern saßen mit Kaffeetassen in der schwingenden Hollywoodschaukel.
Wallander setzte sich auf einen der Gartenstühle und erzählte, was er erfahren hatte. Hans und Linda reagierten mitungläubigem Gesichtsausdruck. Während Wallander sprach, tauchte plötzlich der Name Wennerström in seinen Gedanken auf. Der Oberst, der vor nahezu fünfzig Jahren große Teile der schwedischen Streitkräfte für die Russen ausspioniert hatte. Aber es war ihm unmöglich, zwischen Louise von Enke und diesem verschlagenen Mann, der viele Jahre lang aus kalter Gier Spionage betrieben hatte, irgendeine Verbindung herzustellen. »Ich zweifle nicht an dem, was ich gehört habe«, beendete er seinen Bericht. »Aber ich zweifle auch nicht daran, dass es eine plausible Erklärung dafür gibt, dass diese Dinge in ihrer Handtasche waren.«
Linda schüttelte den Kopf, sah ihren Mann an und dann ihrem Vater direkt in die Augen. »Ist das wirklich wahr?«
»Ich würde doch nicht herkommen und euch etwas erzählen, was nicht dem entspricht, was ich gerade erfahren habe.«
»Du brauchst nicht gleich gereizt zu sein. Man muss doch fragen dürfen.«
»Ich bin nicht gereizt, aber solche Fragen bringen uns nicht weiter.«
Beide spürten, dass ein
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