Wallander 09 - Der Feind im Schatten
hörte nur wie von fern, was Hans zu Linda sagte. Plötzlich war er wieder hellwach. »Habe ich richtig gehört? Hast du Gästeliste gesagt?«
»Alles war penibel geordnet. Mein Vater war nicht umsonst Offizier. Er hat jeweils angemerkt, wer da war, wer abgesagt hatte und wer gegen jede Regel verstoßen hat und weder erschienen ist noch eine Erklärung für sein Fernbleiben gegeben hat.«
»Warum hast du die Listen hier?«
»Weil weder mein Vater noch meine Mutter mit einem Computer umgehen konnten. Deshalb habe ich die Listen für sie ausgedruckt. Vater hat wohl gemeint, dass ich seine Kommentare noch hinzufügen sollte. Gott weiß, warum. Aber es kam nicht dazu.«
Wallander biss sich auf die Lippen, während er überlegte. Dann stand er auf. »Ich würde diese Listen gern sehen. Auch die Fotos. Ich kann alles mit nach Hause nehmen, wenn ihr andere Pläne habt.«
»Die hat man nicht, wenn man ein kleines Kind hat«, antwortete Linda. »Hast du das vergessen? Bald wacht sie auf. Dann ist diese himmlische Ruhe vorbei. Wie ich dich kenne, ist es für dich besser, du fährst nach Hause. Ich glaube, da hast du mehr Ruhe.«
Hans ging ins Haus und kam mit einigen Plastiktüten voller Papiere und Fotos zurück.
Linda begleitete Wallander zum Auto. In der Ferne warjetzt Donner zu hören. Sie stellte sich vor die Fahrertür, als er diese öffnen wollte. »Können sie sich geirrt haben? Kann es Mord gewesen sein?«
»Nichts spricht dafür. Ytterberg ist ein guter und erfahrener Polizist. Er sieht, was er sieht. Beim geringsten Verdacht würde er reagieren.«
»Sag mir noch einmal, wie sie aussah, als sie gefunden wurde.«
»Die Schuhe standen neben dem Körper, ordentlich hingestellt. Sie lag auf der Seite, in Strümpfen. Die Kleider nicht in Unordnung. Sie war also nicht gefallen, sondern hatte sich selbst hingelegt.«
»Aber die Schuhe?«
»Gibt es nicht eine Redensart, die heutzutage verschwunden ist? Dass man die Schuhe abstellt, wenn man stirbt?«
Linda schüttelte ungeduldig den Kopf. »Was für Kleider trug sie?«
Wallander versuchte, sich daran zu erinnern, was Ytterberg auf seine Frage geantwortet hatte. »Schwarzer Rock, graue Bluse, Mantel, BH, Slip, Kniestrümpfe.«
Linda schüttelte wieder den Kopf. »Ich habe nie gesehen, dass sie Kniestrümpfe trug. Entweder zog sie Strumpfhosen an oder gar keine Strümpfe.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Sie trug Wollsocken, wenn sie mal Ski fuhr. Aber das hat hiermit nichts zu tun.«
Wallander stellte sich vor, was das bedeuten konnte. Er zweifelte nicht daran, dass Linda wusste, wovon sie sprach. Wenn sie so bestimmt war wie jetzt, hatte sie meistens recht.
»Ich kann dir keine gute Antwort geben. Ich leite deine Bedenken weiter an die Kripo in Stockholm.«
Sie trat zur Seite und schlug die Tür zu, als er eingestiegen war. »Louise war keine Frau, die Selbstmord begeht«, sagte sie.
»Und doch hat sie es getan.«
Linda schüttelte den Kopf. Wallander war klar, dass sie ihm etwas sagen wollte, worüber er sich Gedanken machen sollte. Es war nichts, was sie im Moment diskutieren mussten. Er ließ den Wagen an und fuhr los. Als er zur Hauptstraße kam, bog er in die entgegengesetzte Richtung ab, ließ Ystad hinter sich und fuhr am Meer entlang in Richtung Trelleborg. Er hatte das Bedürfnis, sich zu bewegen. Bei Mossby Strand standen ein paar Wohnmobile und Wohnwagen. Er parkte am Straßenrand und ging zum Strand hinunter. Jedes Mal, wenn er hierher zurückkehrte, hatte er das Gefühl, dass gerade dieses Stück Strand, das nicht besonders bemerkenswert und nicht unbedingt schön war, einer der zentralen Punkte in seinem Leben war. Hier war er mit Linda spazieren gegangen, als sie klein war, hier hatte er versucht, sich mit Mona zu versöhnen, als sie ihm erklärt hatte, sie wolle sich scheiden lassen. An diesem Strand hatte ihm Linda auch vor fast zehn Jahren mitgeteilt, dass sie Polizistin werden wolle und schon an der Polizeihochschule in Stockholm angenommen worden sei. Hier hatte sie ihm gesagt, dass sie schwanger war.
Und hier war vor zwanzig Jahren ein Schlauchboot mit zwei Toten angetrieben, gefolterten und namenlosen Männern, die erst viel später als lettische Staatsangehörige identifiziert worden waren. Er wusste noch genau, wo das Schlauchboot an Land getrieben war, er konnte seine Kollegen vor sich sehen, wie sie im schneidend kalten Wind um das rote Boot herumstanden, und Nyberg, der mit grimmiger Miene herauszufinden versuchte, was
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