Wallander 09 - Der Feind im Schatten
von Enke, war ein ehemaliger Korvettenkapitän, der U-Boote und U-Boot-Jäger befehligt hatte. Linda glaubte, wenngleich sie in diesem Punkt nicht sicher war, dass er zeitweilig auch der Befehlsstelle angehörthatte, die entschied, wann Einheiten der Streitkräfte einen Feind anzugreifen hatten. Hans von Enkes Mutter Louise war Sprachlehrerin gewesen. Geschwister gab es nicht, Hans war Einzelkind.
»Ich habe keine Erfahrung im Umgang mit Adligen«, sagte Wallander wenig begeistert, als Linda geendet hatte.
»Sie sind wie andere Leute auch. Ich glaube, dass ihr über vieles reden könnt.«
»Worüber?«
»Das wird sich zeigen. Sei nicht so negativ.«
»Ich bin nicht negativ. Ich frage mich nur.«
»Wir essen um sechs. Komm pünktlich. Und lass Jussi zu Hause. Er bringt bloß Unruhe.«
»Jussi ist ein sehr folgsamer Hund. Wie alt sind die beiden denn?«
»Håkan wird fünfundsiebzig, Louise ist ein paar Jahre jünger. Im Übrigen gehorcht Jussi nie, das müsstest du doch wissen. Gott sei Dank hattest du bei mir mehr Erfolg mit der Erziehung.«
Sie verließ den Raum, bevor Wallander etwas erwidern konnte. Eigentlich hätte er wütend werden müssen, weil sie immer das letzte Wort behielt. Aber es gelang ihm nicht, und er beugte sich wieder über seine Papiere.
An dem Samstag, an dem Wallander nach Rydsgård fuhr, um Hans von Enkes Eltern zu treffen, fiel ein für die Jahreszeit ungewöhnlich milder Nieselregen über Schonen. Er hatte seit dem frühen Vormittag in seinem Büro gesessen, um zum Gott weiß wievielten Mal die wichtigsten Teile des Untersuchungsmaterials über den Tod des Waffenhändlers und den Waffendiebstahl durchzugehen. Sie glaubten zwar, die Räuber identifiziert zu haben, doch es fehlten die Beweise. Ich habe keinen Schlüssel, dachte er, ich habe allenfalls das entfernte Geräusch eines Schlüsselbunds. Um drei Uhr hatte er die Hälfte des umfangreichen Materials geschafft und beschloss, nach Hause zu fahren. Er schlief zweiStunden und zog sich dann für das Abendessen um. Linda hatte gesagt, Hans von Enkes Eltern könnten für ihren Geschmack ein wenig zu formell sein, und deshalb vorgeschlagen, er solle seinen besten Anzug anziehen.
»Ich habe nur den für Beerdigungen«, sagte Wallander. »Aber soll ich deswegen mit einem weißen Schlips kommen?«
»Wenn es dir so zuwider ist, brauchst du überhaupt nicht zu kommen.«
»Es sollte ein Scherz sein.«
»Der war aber nicht gut. Du hast mindestens drei blaue Schlipse. Nimm einen davon.«
Als Wallander gegen Mitternacht ein Taxi zurück nach Ystad nahm, dachte er, dass der Abend bedeutend angenehmer verlaufen war, als er erwartet hatte. Der alte Korvettenkapitän und seine Frau waren Leute, mit denen er reden konnte. Er war Fremden gegenüber immer auf der Hut und vermutete, dass sie mit mehr oder weniger verhohlener Verachtung auf seinen Beruf reagierten. Aber bei keinem von beiden hatte er dieses Gefühl gehabt. Im Gegenteil, sie hatten echtes Interesse an der Polizeiarbeit gezeigt. Håkan von Enke hatte Ansichten über die Organisation der schwedischen Polizei und über verschiedene Mängel bei der Aufklärung gewisser bekannter Verbrechen vertreten, denen Wallander problemlos zustimmen konnte. Er seinerseits hatte Fragen über die schwedische Marine, über U-Boote und über die gegenwärtige Teilabrüstung der schwedischen Streitkräfte stellen können, auf die er kenntnisreiche und unterhaltende Antworten bekommen hatte. Louise von Enke hatte dem Gespräch die meiste Zeit mit einem freundlichen Lächeln zugehört.
Linda begleitete ihn zum Gartentor, nachdem sie das Taxi bestellt hatten. Sie hakte sich bei ihm ein und legte den Kopf an seine Schulter. Das tat sie nur, wenn sie mit ihm zufrieden war.
»Ich habe mich also gut benommen«, sagte Wallander.
»Du warst besser denn je. Du kannst es ja, wenn du nur willst.«
»Kann was?«
»Dich benehmen. Sogar intelligente Fragen stellen über Dinge, die nichts mit Polizeiarbeit zu tun haben.«
»Ich mochte sie, auch wenn ich über Louise nicht viel erfahren habe.«
»Louise ist so. Sie sagt nie viel. Aber sie kann besser zuhören als wir alle.«
»Auf mich machte sie fast einen geheimnisvollen Eindruck.«
Sie waren an die Straße gekommen und stellten sich zum Schutz vor dem anhaltenden Nieselregen unter einen Baum.
»Ich kenne niemanden, der so geheimnisvoll ist wie du«, sagte Linda. »Viele Jahre glaubte ich, du wolltest etwas verbergen. Aber inzwischen weiß ich, dass nur
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