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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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legte auf, bevor er weitere Fragen stellen konnte. Was wollte sie? Er ging in den Sitzungsraum, wo es den besten Fernsehapparat gab. Zwei Stunden lang sahen sie sich Filme aus Hanssons Überwachungskamera an. Um kurz vor halb eins hatten sie noch die Hälfte der Filme vor sich. Wallander stand auf und sagte, sie könnten um zwei Uhr weitermachen. Martinsson, mit dem Wallander die längste Zeit in Ystad zusammengearbeitet hatte, sah ihn verwundert an. »Sollen wir jetzt unterbrechen? Du hast doch sonst keine festen Mittagszeiten.«
    »Ich will nicht essen. Ich habe ein anderes Treffen.«
    Er verließ den Raum und dachte, dass er zu scharf geklungen hatte. Martinsson und er waren nicht nur Kollegen, sie waren auch Freunde. Bei Wallanders Einweihungsfest im Haus bei Löderup hatte Martinsson eine Rede auf ihn und den Hund und das Haus gehalten. Wir sind wie ein fleißiges altes Paar, dachte er, als er das Polizeipräsidium verließ. Ein altes Paar, das miteinander zankt, hauptsächlich, um in Form zu bleiben.
    Er ging zu seinem Wagen, einem Peugeot, den er vor vierJahren gekauft hatte, und fuhr los. Wie oft bin ich diesen Weg schon gefahren? Wie viele Male wird es sich noch wiederholen? Während er an einer roten Ampel wartete, dachte er an etwas, was sein Vater ihm erzählt hatte, von einem Cousin, den Wallander selbst nie kennengelernt hatte. Der Cousin hatte eine Fähre zwischen zwei Inseln in den Schären vor Stockholm gefahren; die Überfahrt dauerte nicht länger als fünf Minuten, jahrein, jahraus dieselbe Strecke. Eines Tages war eine Sicherung bei ihm durchgebrannt. Es war an einem Spätnachmittag im Oktober gewesen, und die Fähre war voller Autos. Plötzlich hatte er das Ruder umgelegt und Kurs aufs offene Meer genommen. Nachher erzählte er, er habe gewusst, dass die Dieselmenge in den Tanks ausgereicht hätte, eines der baltischen Länder zu erreichen. Aber das war auch alles, was er sagte, als er schließlich von aufgebrachten Autofahrern überwältigt worden war und die Küstenwache die Fähre zurück auf ihren Kurs gebracht hatte. Er hatte nie eine Erklärung für sein Verhalten gegeben.
    Wallander dachte, dass er ihn auf eine unklare Weise verstand.
    Einzelne Wolken jagten über den Himmel, als er am Meer entlang nach Westen fuhr. Durch das Seitenfenster sah er Unwetterwolken, die sich am Horizont auftürmten. Am Morgen hatte er im Radio gehört, dass gegen Abend wieder mit Schneefällen zu rechnen war. Kurz vor der Abzweigung nach Marsvinsholm wurde er von einem Motorrad überholt. Der Fahrer winkte ihm, und Wallander dachte, dass es eine seiner schlimmsten Befürchtungen war, Linda könnte eines Tages mit ihrem Motorrad verunglücken. Er war vollkommen ahnungslos gewesen, als sie vor einigen Jahren mit ihrer chromglänzenden Harley-Davidson auf seinen Hof gefahren kam. Ob sie den Verstand verloren habe, war seine erste Frage, nachdem sie den Helm abgenommen hatte.
    »Du kennst nicht alle meine Träume«, hatte sie mit einemglücklichen Lächeln erwidert. »Genauso wie ich sicher nicht alles weiß, wovon du träumst.«
    »Auf jeden Fall nicht von einem Motorrad.«
    »Schade. Sonst könnten wir zusammen fahren.«
    Er war so weit gegangen, sie anzuflehen und ihr zu versprechen, ein Auto für sie zu kaufen und das Benzin zu bezahlen, wenn sie ihr Motorrad abschaffte. Aber sie lehnte ab, und er wusste von Anfang an, dass er verloren hatte. Sie hatte seine Sturheit geerbt, es würde ihm nicht gelingen, ihr das Motorrad auszureden, womit er sie auch zu locken versuchte.
    Als er auf den Parkplatz von Mossby Strand fuhr, der im stürmischen Wind verlassen dalag, hatte sie den Helm abgenommen und stand mit flatternden Haaren auf einer Sanddüne. Wallander stellte den Motor ab, blieb sitzen und betrachtete seine Tochter in der dunklen Lederkleidung und den teuren Stiefeln, die sie für den Preis eines fast kompletten Monatsgehalts in einer Fabrik in Kalifornien hatte nähen lassen. Einst war sie ein kleines Mädchen, das auf meinem Schoß saß, und ich war der größte Held in ihrem Leben, dachte Wallander. Jetzt ist sie sechsunddreißig Jahre alt, arbeitet wie ich bei der Polizei und hat einen scharfen Verstand und ein großes Lächeln. Was will ich mehr?
    Er stieg aus und kämpfte sich im stürmischen Wind durch den Sand nach oben, bis er neben ihr stand.
    Sie lächelte ihn an. »Hier ist einmal etwas geschehen«, sagte sie. »Weißt du noch, was?«
    »Du hast mir eröffnet, dass du Polizistin werden wolltest.

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