Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Haustreppe getreten war. Hinter beiden Ohren steckten Bleistifte mit Radiergummis an den Enden. Während seiner Jahre in Schweden hatte Eber seinen Lebensunterhalt damit bestritten, für verschiedene deutsche Zeitungen Kreuzworträtsel zu konstruieren. Sie waren seine Spezialität, vor allem die richtig schweren Rätsel für Fortgeschrittene. Ein Kreuzworträtsel zu konstruieren war eine große Kunst. Es ging ja nicht nur darum, Wörter mit so wenig schwarzen Kästchen wie möglich zusammenzusetzen, es musste immer auch um ein Thema gehen, vielleicht um Verbindungen zwischen verschiedenen historischen Gestalten. So hatte er Wallander seine Arbeit beschrieben.
Wallander nickte in Richtung der Papiere, die Eber in der Hand hielt. »Neue Schwierigkeiten?«
»Das schwerste, was ich je gemacht habe. Ein Kreuzworträtsel, dessen eleganteste Leitfäden aus der klassischen Philosophie stammen.«
»Aber der Sinn liegt doch wohl trotz allem darin, dass die Menschen deine Rätsel lösen können?«
Herman Eber antwortete nicht. Wallander ahnte auf einmal, dass der Mann, der in seinem verschlissenen Trainingsanzug neben ihm saß, davon träumte, ein unlösbares Kreuzworträtsel zu konstruieren. Ob Eber zu guter Letzt wahnsinnig geworden war von seiner Angst? Oder davon, in dieser Senke zu leben, in der die umgebenden Hügel wie Wände empfunden werden konnten, die immer näher rückten?
Er wusste es nicht. Herman Eber war ihm im Grunde immer noch vollständig fremd.
»Ich benötige deine Hilfe«, sagte er und legte das gerichtsmedizinische Protokoll auf den Tisch. Dann berichtete er ruhig und methodisch von allem, was geschehen war.
Herman Eber setzte eine schmutzige Brille auf. Er studierte die Papiere einige Minuten lang, stand dann plötzlich auf und verschwand im Haus. Wallander wartete. Nach einer Viertelstunde war Eber noch nicht zurückgekommen. Wallander fragte sich, ob er sich vielleicht hingelegt und seinen Gast draußen auf dem wackeligen Gartenstuhl vergessen hatte. Er wartete weiter. Seine Ungeduld wuchs und war nur schwer auszuhalten. Wallander beschloss, ihm noch fünf Minuten Zeit zu geben.
Im selben Moment kam Eber zurück. Er hielt ein paar vergilbte Dokumente in der Hand und hatte ein dickes Buch unter dem Arm. »Das gehört zu einer anderen Welt«, sagte er. »Ich musste danach suchen.«
»Aber du scheinst etwas gefunden zu haben.«
»Du bist ein kluger Mann, dass du zu mir gekommen bist. Ich bin wahrscheinlich der Einzige, der dir helfen kann. Aber du musst auch wissen, dass dies hier schlimme Erinnerungenweckt. Ich habe beim Suchen geweint. Hat man es gehört?«
Wallander schüttelte den Kopf. Er glaubte, dass Eber übertrieb. Auf seinem Gesicht waren keine Spuren von Tränen.
»Ich kenne die Substanzen«, fuhr Eber fort. »Sie wecken mich aus einem Dornröschenschlaf, aus dem ich lieber niemals gerissen worden wäre.«
»Du weißt also, worum es sich handelt?«
»Vermutlich. Die Ingredienzien, die synthetisch hergestellten chemischen Substanzen, gehören zu denen, mit denen ich damals gearbeitet habe.«
Er verstummte. Wallander wartete ab. Herman Eber mochte es nicht, wenn man ihn unterbrach. Einmal hatte er Wallander unter dem Einfluss von ein paar Gläsern Whisky gestanden, dass es mit der Macht zusammenhing, die er als hoher Stasioffizier gehabt hatte. Niemand hatte ihm zu widersprechen gewagt.
Eber hielt das dicke Buch in seinen Händen, als wäre es die Heilige Schrift. Er schien zu zögern. Das machte Wallander vorsichtig. Eine Drossel setzte sich auf den Rand des Planschbeckens. Sofort knallte Eber das Buch auf den Tisch. Der Vogel flog davon. Wallander erinnerte sich, dass Eber an einer rätselhaften, schwer erklärbaren Vogelphobie litt.
»Bitte erzähle«, sagte Wallander. »Was sind das für Substanzen, die du identifizieren kannst?«
»Ich hatte vor tausend Jahren damit zu tun. Ich glaubte, sie wären aus meinem Leben verschwunden. Und jetzt kommst du an einem schönen Sommertag und erinnerst mich an etwas, was ich am liebsten vergessen hätte.«
»Was willst du vergessen?«
Herman Eber seufzte und rieb sich den kahlen Schädel. Nicht lockerlassen jetzt, dachte Wallander. Sonst könnte er sich neue Eingänge in seinen Fuchsbau graben, könnte sich in endlose Auslassungen über Kreuzworträtsel verlieren.
»Was willst du vergessen?«, wiederholte Wallander.
Herman Eber begann auf seinem Stuhl zu schaukeln, ohne zu antworten.
Wallander war drauf und dran, die Geduld zu
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