Wallander 09 - Der Feind im Schatten
gekommen, weil er die Chance, seine Flucht dorthin könnte gelingen, als gut einschätzte. Unter falscher Identität war er an Bord einer Fähre nach Trelleborg gelangt.
Wallander wusste, dass Ebers Befürchtungen, von der Vergangenheit eines Tages eingeholt zu werden, immer noch sehr stark waren. Die DDR existierte nicht mehr, aber die Opfer gab es noch. Wallander hatte sich gesagt, dass niemand ihm seine Angst würde nehmen können, sie war da und würde wohl nie ganz verschwinden. Mit den Jahren wurde Eber immer scheuer, zog sich immer mehr zurück, und ihre Treffen waren immer seltener geworden, um schließlich ganz aufzuhören.
Die Ursache ihres letzten Treffens war ein Gerücht gewesen, das Wallander zu Ohren gekommen war: Eber sei krank. Eines Sonntagnachmittags war er nach Höör hinausgefahren, um zu sehen, wie es ihm ginge. Eber war wie immer gewesen, vielleicht ein wenig magerer. Er war ungefähr zehn Jahre jünger als Wallander, schien aber rascher zu altern. Wallander hatte auf der Heimfahrt nach dem misslungenen Besuch, bei dem sie einander stumm gegenübergesessen hatten, viel über Ebers Schicksal nachgedacht.
Die Haustür des roten Backsteinhauses war jetzt einen Spalt weit geöffnet worden.
Wallander stieg aus dem Wagen. »Ich bin es«, rief er. »Dein alter Freund aus Ystad.«
Herman Eber trat auf die Haustreppe. Er trug einen alten Trainingsanzug, wahrscheinlich eins der wenigen Kleidungsstücke,die er bei seiner Flucht aus der DDR mitgenommen hatte. Der Hofplatz war voller Schrott. Wallander fragte sich, ob Herman Eber listig ausgedachte Fallen um sein Haus aufgestellt hatte.
Eber blinzelte Wallander an, als hätte er lange kein Tageslicht gesehen. »Du«, sagte er. »Wie lange ist es her, seit du mich zuletzt besucht hast?«
»Viele Jahre. Aber hast du mich denn besucht? Weißt du überhaupt, dass ich aufs Land gezogen bin?«
Herman Eber schüttelte den Kopf. Er war fast kahl. Seine flackernden Augen überzeugten Wallander davon, dass Ebers Furcht vor Rache nicht geschwunden war.
Eber zeigte auf einen morschen Gartentisch und ein paar hinfällige Stühle. Wallander sah ein, dass er ihn nicht ins Haus lassen wollte. Bei Herman Eber war auch früher nicht aufgeräumt gewesen, aber bislang hatte er ihm den Zutritt zum Haus nicht verweigert. Vielleicht ist es jetzt zu schlimm geworden, dachte Wallander. Vielleicht lebt er in einer Müllhalde? Vorsichtig setzte er sich auf den Stuhl, der ihm am vertrauenswürdigsten schien. Herman Eber lehnte sich an die Hauswand. Wallander fragte sich, ob er noch die geistige Schärfe besaß, die sein herausragendstes Merkmal gewesen war. Eber war ein intelligenter Mann, auch wenn er ein Leben führte, das in jeder Hinsicht im Gegensatz zu seiner intellektuellen Kapazität stand. Mehr als einmal hatte er Wallander damit verblüfft, dass er sich zu Verabredungen ungewaschen und direkt übelriechend eingefunden hatte. Er kleidete sich absonderlich und war manchmal mitten im Winter in Sommersachen erschienen. Doch hinter dieser Fassade, die verwirrend, sogar abstoßend wirken konnte, verbarg sich ein klarer Kopf, das hatte Wallander schnell erkannt. Seine Analyse dessen, was inzwischen kein ostdeutsches Wunder mehr war, hatte Wallander Einblicke in ein Gesellschaftssystem und eine Sichtweise von Politik vermittelt, die ihm zuvor fremd gewesen waren.
Herman Eber hatte oft widerwillig und empfindlich reagiert, wenn Wallander ihm Fragen nach seiner Tätigkeit bei der Stasi stellte. Es war immer noch eine offene Wunde, ein Schmerz, von dem Eber sich nicht hatte befreien können. Aber in Stunden, in denen Wallander genügend Geduld aufbrachte, hatte er schließlich zu erzählen begonnen. Eines Tages hatte Eber unvermittelt enthüllt, vorübergehend einer geheimen Abteilung angehört zu haben, deren Aufgabe es war, Menschen umzubringen. Das war der Grund, warum Ebers Name sogleich in Wallanders Kopf aufgetaucht war, als Ytterberg anrief und von dem gerichtsmedizinischen Protokoll erzählte.
Eber setzte sich. Wallander registrierte, dass er heute nicht stank. Inmitten des mit Gerümpel übersäten Hausvorplatzes stand ein mit Wasser gefülltes Kinderplanschbecken. Auf einem Tisch daneben lagen ein Handtuch, Seife, Nagelfeilen und andere Werkzeuge, die in Wallanders Vorstellungswelt eher an Folterinstrumente erinnerten. Aber es war anzunehmen, dass Eber das Planschbecken benutzte, um sich sauber zu halten.
Er hatte Papiere in den Händen gehalten, als er auf die
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