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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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vertuscht.«
    »Und was war passiert?«
    »Eines Tages war er weg. Ein Zauberer, der sich ein Tuch über den Kopf zog, und wupps, war er verschwunden. Doch niemand klatschte Beifall. Der große Held hatte seine Seele den Engländern verkauft, und natürlich auch den Amerikanern. Wie es ihm gelang, seine Verantwortung für die Hinrichtung englischer Agenten zu verbergen, weiß ich nicht. Vielleicht war es gar nicht nötig. Sicherheitsdienste müssen zynisch sein, um zu funktionieren. Es war ein schmählicher Nasenstüber für den KGB und die Stasi. Eine Menge Köpfe rollten. Ulbricht fuhr nach Moskau und kehrte kleinlaut zurück, obwohl ihn kaum die Schuld daran traf, dass ›Boris‹ nicht enttarnt worden war. Damals hätte nicht viel gefehlt, und Stasiboss Markus Wolf wäre in die Wüste geschickt worden. Und das wäre auch geschehen, wenn er nicht einen Befehl erlassen hätte, der uns zurückbringt zu dem Thema, das dich heute hergeführt hat. Es war ein Befehl, dem höchste Priorität zukam.«
    Wallander ahnte den Zusammenhang. »Dass ›Boris‹ sterben sollte?«
    »Genau. Aber er sollte nicht einfach sterben, es sollteso aussehen, als hätte ihn die Reue gepackt. Er sollte sich das Leben nehmen und einen Brief hinterlassen, in dem er seinen Verrat unverzeihlich nannte. Er sollte die Sowjetunion und die DDR preisen und sich mit einer großen Dosis Selbstverachtung und einer ebenso großen Dosis unseres eigens dafür präparierten Schlafmittels zum Sterben niederlegen.«
    »Und wie ging das zu?«
    »Ich arbeitete damals in einem Laboratorium bei Berlin, an einem Ort, der eigentümlicherweise nicht weit von Wannsee entfernt war, wo die Nazis einst die Lösung der Judenfrage beschlossen hatten. Plötzlich bekamen wir dort einen neuen Kollegen.«
    Herman Eber unterbrach sich und zeigte auf den Kalender mit dem braunen Umschlagdeckel. »Ich habe gesehen, dass du den Kalender bemerkt hast. Ich musste den Namen nachschlagen. Mein Gedächtnis hat mich im Stich gelassen, was es normalerweise nicht tut. Und du, wie ist dein Gedächtnis?«
    »Gut«, sagte Wallander ausweichend. »Erzähl weiter.«
    Herman Eber schien seinen Widerwillen zu bemerken, über das Gedächtnis zu reden. Wallander dachte, dass die Sensibilität für Tonlagen und Untertöne bei Menschen, die in einem Sicherheitsdienst gearbeitet hatten, besonders gut ausgebildet sein musste. Konnte doch ein falscher Schritt oder eine Fehleinschätzung bedeuten, dass man vor einem Hinrichtungskommando endete.
    »Klaus Dietmar«, sagte Eber. »Er kam direkt von den Schwimmerinnen, das weiß ich mit Sicherheit, auch wenn er offiziell nie ihr Trainer war. Er gehörte zu denen, die hinter dem großen Sportwunder gesteckt und es durchgeführt hatten. Ein kleiner dünner Mann, der sich lautlos bewegte und mädchenhafte Hände hatte. Wer ihn falsch einschätzte, konnte sein Auftreten so verstehen, als entschuldigte er sich dafür, überhaupt zu existieren. Aber er war ein fanatischerKommunist und betete ganz sicher jeden Abend, bevor er das Licht ausmachte, für Walter Ulbrichts Ehre und Ansehen. Er leitete eine Gruppe, der ich auch angehörte. Unsere Aufgabe bestand darin, ein Präparat zu entwickeln, das Igor Kirov töten, aber keine anderen Spuren hinterlassen sollte als ein gewöhnliches Schlafmittel.«
    Herman Eber stand auf und verschwand im Haus. Wallander konnte der Versuchung nicht widerstehen, durch ein Fenster auf der Giebelseite ins Hausinnere zu spähen. Er hatte richtig vermutet. Im Zimmer herrschte unsägliches Chaos. Zeitungen, Kleidungsstücke, Abfall, Teller und Essensreste füllten den Raum. Zwischen all dem Unrat verlief eine Art ausgetretener Pfad. Wallander nahm den Gestank wahr, der durch die Fensterritzen nach außen drang. Die Sonne war hinter ein paar Wolken verschwunden. Eber kam zurück und zog noch die Trainingshose zurecht. Er setzte sich wieder und rieb sich das Kinn, als hätte ihn ein plötzlicher Juckreiz befallen. Wallander kam blitzartig der Gedanke, dass er einen Menschen vor sich hatte, mit dem er nicht die Identität würde tauschen wollen. In diesem Augenblick war er unendlich dankbar dafür, der zu sein, der er war.
    »Es dauerte ungefähr zwei Jahre«, sagte Eber und betrachtete seine schmutzigen Fingernägel. »Viele von uns waren der Meinung, dass die Stasi allzu viele Mittel dafür einsetzte, Igor Kirov zu erledigen. Aber in Kirovs Fall ging es ums Prestige. Er hatte in der heiligen kommunistischen Kirche geflucht und sollte

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