Wallander 09 - Der Feind im Schatten
nicht in Sünde sterben dürfen. Nach kurzer Zeit hatten wir eine chemische Kombination gefunden, die den auf Rezept erhältlichen Schlafmitteln in England glich. Das Problem war, den richtigen Augenblick zu finden, um sich durch die ihn schützenden Sicherheitsvorkehrungen zu schleusen. Am schwersten zu überwinden war natürlich seine eigene Wachsamkeit. Er wusste, welche Hunde in seiner Spur hechelten.«
Herman Eber bekam einen Hustenanfall. Es schepperte in seiner Luftröhre. Wallander wartete. Der Wind, der aufgekommen war, wehte kühl in seinem Nacken.
»Ein Agent weiß, dass es lebenswichtig ist, ständig seine Routine zu ändern«, sagte Eber, nachdem der Hustenanfall sich gelegt hatte. »Das tat Kirov auch. Aber er übersah ein kleines Detail. Dieser Fehler kostete ihn das Leben. Samstags um drei Uhr ging er in ein Pub in Notting Hill und schaute sich Fußball im Fernsehen an. Er saß stets am selben Tisch und trank seinen russischen Tee. Er kam um zehn vor drei und verließ das Pub, wenn das Spiel vorbei war. Unsere Fassadenkletterer, die sich überall Zugang verschaffen konnten, beobachteten ihn über längere Zeit und kamen schließlich auf eine Idee, wie man Igor Kirov aus dem Spiel nehmen konnte. Die Schwachstelle waren zwei Kellnerinnen, die manchmal von Aushilfen ersetzt wurden. Da konnten wir unsere Leute einschleusen. Es war ein Samstag im Dezember 1972, als die Hinrichtung stattfand. Die falschen Kellnerinnen servierten den vergifteten Tee. In dem Bericht, den ich gelesen habe, war genau verzeichnet, dass das letzte Match, das Kirov sah, das Spiel Birmingham gegen Leicester war. Es endete 1:1. Er kehrte in seine Wohnung zurück, wo er einige Stunden später in seinem Bett starb. Der britische Geheimdienst zweifelte anfangs nicht daran, dass es sich um Selbstmord handelte, dafür war der Brief mit seinen Fingerabdrücken und in seiner Handschrift allzu überzeugend. Igor Kirov war am Ende von seinem Schicksal eingeholt worden.«
Herman Eber stellte ein paar Fragen nach der toten Frau, und Wallander beantwortete sie so ausführlich wie möglich. Aber die Ungeduld in ihm wuchs. Er wollte hier nicht länger sitzen und Ebers Fragen beantworten. Eber schien seine Irritation zu bemerken und verstummte.
»Du meinst also, dass Louise an dem gleichen Präparat starb, mit dem Igor Kirov damals getötet wurde?«
»So sieht es aus.«
»Was bedeuten würde, dass sie ermordet wurde. Ein vorgetäuschter Selbstmord?«
»Wenn der gerichtsmedizinische Bericht stimmt, könnte es so sein.«
Wallander schüttelte ungläubig den Kopf. In seiner Vorstellungswelt konnte es ganz einfach nicht stimmen. »Wer stellt heute solche Präparate her? Die DDR und die Stasi existieren nicht mehr. Du sitzt hier in Schweden und konstruierst Kreuzworträtsel.«
»Geheimdienste existieren immer. Sie ändern den Namen, aber sie sind immer da. Wer glaubt, Spionage hätte heutzutage nachgelassen, hat nichts begriffen. Und vergiss nicht, dass viele der alten Meister noch leben.«
»Der Meister?«
Herman Eber wirkte nahezu gekränkt, als er antwortete. »Was wir auch getan haben, was auch immer Menschen über uns sagen können, wir waren Spezialisten. Wir wussten, womit wir uns abgaben.«
»Warum sollte ausgerechnet Louise von Enke das Opfer eines solchen Giftanschlags geworden sein?«
»Die Frage kann ich natürlich nicht beantworten.«
»Und du bist dir sicher?«
»So sicher, wie man aufgrund der Informationen sein kann, die du mir gegeben hast.«
Wallander war plötzlich müde und beunruhigt. Er stand auf und gab Herman Eber die Hand. »Ich komme bestimmt wieder«, sagte er zum Abschied.
»Das ist mir klar«, gab Herman Eber zurück. »In unserer Welt begegnet man sich zu den sonderbarsten Zeitpunkten wieder.«
Wallander stieg in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Als er den Kreisverkehr bei der Einfahrt nach Ystad erreichte, begann es zu regnen. Es goss in Strömen, als er vom Wagen zum Haus lief und die Haustür aufschloss. Jussibellte in seinem Zwinger. Wallander setzte sich an den Küchentisch und blickte auf den Regen, der ans Fenster trommelte. Wasser tropfte aus seinen Haaren.
Er zweifelte nicht daran, dass Herman Eber recht hatte. Louise von Enke hatte nicht Selbstmord begangen. Sie war ermordet worden.
23
Wallander nahm ein Stück Fleisch aus dem Kühlschrank. Zusammen mit einem halben Blumenkohl musste dies seine Mahlzeit werden. Als er sich an den Tisch setzte und die Zeitung aufschlug, die er auf dem
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