Wallander 09 - Der Feind im Schatten
mich in einem hell erleuchteten Raum, und jemand macht ohne Vorwarnung das Licht aus. Ich weiß nicht, wie lange ich mich im Dunkel befand. Es war, als wüsste ich nicht mehr, wer ich bin.«
»Ist das schon öfter vorgekommen?«
»Nicht so gravierend. Aber ich war bei einer Ärztin, einer Spezialistin in Malmö. Sie meinte, ich sei nur überarbeitet.Dass ich immer noch glaubte, ein flotter Dreißigjähriger zu sein und noch alles schaffen zu können wie damals.«
»Das gefällt mir nicht. Geh zu einem anderen Arzt.«
Er nickte, sagte aber nichts. Sie stand auf und verschwand im Haus, um mit zwei Gläsern Wasser zurückzukommen. Wallander fragte vorsichtig, ganz nebenbei, ob die Polizei die Frau gefunden habe, die in Malmö ihre Eltern umgebracht hatte.
»Ich habe gehört, dass sie in Växjö gefasst worden ist. Jemand hat sie mitgenommen, als sie per Anhalter fuhr, und schöpfte Verdacht. Er lud sie bei einem Rasthaus in der Nähe der Stadt zu einem Kaffee ein und alarmierte die Polizei. Sie versuchte, sich ein Messer, das sie bei sich hatte, ins Herz zu stoßen. Aber es gelang ihr nicht.«
»Hast du jemals gewünscht, ich wäre tot?«, fragte er, erleichtert darüber, dass seine Beihilfe zur Flucht der Frau sich nicht herumgesprochen hatte. Martinsson hatte dichtgehalten.
»Natürlich«, entgegnete sie und musste lachen. »Ziemlich oft. Zuletzt vor ein paar Minuten. Hoffentlich lebt der Alte nicht, bis er allzu trottelig und senil wird, habe ich gedacht. Alle Kinder wollen ihre Eltern manchmal tot sehen. Aber wie oft hast du dir gewünscht, ich wäre tot?«
»Nie.«
»Soll ich das glauben?«
»Ja.«
»Ich kann dich damit trösten, dass ich mir bedeutend öfter Mona tot vorgestellt habe. Aber natürlich sehe ich mit Schrecken dem Tag entgegen, wenn ihr nicht mehr da seid. Übrigens haben Hans und ich es geschafft, Mona zu überreden, einen Entzug zu machen.«
Jussi hatte einen Hasen auf dem Acker entdeckt und fing an zu bellen. Sie saßen schweigend da und betrachteten seine vergeblichen Versuche, aus dem Zwinger herauszukommen. Der Hase verschwand, und Jussi beruhigte sich.
»Ich bin aus einem anderen Grund gekommen«, sagte sie plötzlich.
»Ist etwas mit Klara?«
»Nein. Mit ihr ist alles in Ordnung. Hans ist heute bei ihr zu Hause. Ich zwinge ihn dazu, seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen. Ich glaube, er findet es gut. Klara ist wirklich das reinste Kontrastprogramm zu einer gestressten Bankwelt.«
»Aber es ist etwas anderes passiert?«
»Ich war gestern Abend in Kopenhagen. Zusammen mit zwei Freundinnen. Wir waren bei einem Konzert. Madonna, das Idol meiner Jugend. Es war ein großes Erlebnis. Hinterher haben wir noch etwas gegessen und sind spät auseinandergegangen. Ich sollte in dem feinen Hotel d’Angleterre wohnen. Hans’ Firma kriegt dort Rabatt. Weil ich in guter Stimmung und noch nicht müde war, machte ich noch einen Bummel auf Strøget. Es waren viele Leute unterwegs, ich setzte mich auf eine Bank, und da sah ich ihn.«
»Wen?«
»Håkan.«
Wallander hielt den Atem an und betrachtete sie. Er konnte sehen, dass sie ihrer Sache sicher war. Sie zweifelte nicht. »Du scheinst dir sicher zu sein?«
»Es war nicht nur sein Aussehen, sein Gesicht, das ich für einen kurzen Augenblick erkannte. Es war auch seine Art, sich zu bewegen, die hochgezogenen Schultern, kleine, schnelle Schritte.«
»Was genau hast du gesehen?«
»Ich saß auf einer Bank auf einem kleinen Platz am Strøget, den Namen weiß ich nicht genau. Er kam von Nyhavn und war auf dem Weg nach oben. Er war schon an mir vorbei, als ich ihn erkannte. Zuerst das Haar im Nacken, dann seine Art zu gehen, und schließlich den Mantel.«
»Den Mantel?«
»Ich habe ihn erkannt.«
»Es gibt Tausende von Mänteln, die gleich aussehen.«
»Nicht Håkans Frühjahrsmantel. Er ist dunkelblau und dünn, wie ein Allwettermantel für Seeleute. Ich kann ihn nicht besser beschreiben. Aber es war Håkan.«
»Und was hast du gemacht?«
»Stell es dir selber vor! Ein Madonna-Auftritt, Freundinnen, Essen, Sommernacht, frei von Kindergeschrei und Mann. Und plötzlich huscht Håkan vorüber. Vielleicht bin ich fünfzehn Sekunden sitzen geblieben. Dann bin ich ihm nachgelaufen. Aber da war es schon zu spät. Er war weg. Es wimmelte von Menschen, Querstraßen, Taxis, Kneipen. Ich bin ganz Strøget hinaufgelaufen, bis zum Rådhusplads, und wieder zurück. Aber ich habe ihn nicht gefunden.«
Wallander leerte sein Wasserglas. Auch wenn
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