Wallander 09 - Der Feind im Schatten
verschwitzte Hemd aus, sah mit Missvergnügen seinen allzu dicken Bauch und nahm sich vor abzunehmen, wie schon so viele Male.
Auf dem Rückweg zum Haus klingelte sein Handy. Jemand sprach ihn in einer fremden Sprache an, es war eine Frauenstimme, aber sehr weit weg, fast verschluckt von einem starken Rauschen im Äther. Nach wenigen Sekundenwurde das Gespräch unterbrochen. Wallander dachte, dass es Baiba gewesen sein konnte. Er glaubte trotz des starken Rauschens ihre Stimme erkannt zu haben. Als es nicht wieder klingelte, ging er nach Hause und setzte sich mit einer Tasse Kaffee in den Garten.
Es sollte ein schöner Sommertag werden. Er beschloss, in seiner ganzen Einsamkeit einen Ausflug zu machen. Es gehörte zu den richtig guten Stunden im Leben, sich nach einem Picknick zwischen Sanddünen zusammenzurollen und eine Weile zu schlafen. Er machte sich daran, einen Korb zu packen, der noch aus seinem Elternhaus stammte. Damals hatte seine Mutter Wollknäuel, Stricknadeln und angefangene Pullover darin aufbewahrt. Jetzt packte er Butterbrote, eine Thermoskanne, zwei Äpfel und einige Exemplare von Svensk Polis , die er noch nicht gelesen hatte, in den Korb. Es war erst elf Uhr, als er von neuem die Herdplatten kontrollierte und das Haus verschloss. Er fuhr nach Sandhammaren und fand einen windgeschützten Platz zwischen den Dünen und den niedrigen Bäumen. Nachdem er gegessen und die Zeitschriften durchgeblättert hatte, rollte er sich in eine Wolldecke und schlief kurz darauf ein.
Er erwachte fröstelnd. Die Sonne war hinter Wolken getreten, die Luft war kühl, und er hatte die Wolldecke abgeworfen. Er rollte sich wieder ein und benutzte seine zusammengefaltete Jacke als Kopfkissen. Nach einer Weile kam die Sonne wieder heraus. Plötzlich fiel ihm ein Traum ein, den er vor vielen Jahren gehabt hatte, es war ein wiederkehrender Traum, der nach einiger Zeit ebenso abrupt verschwand, wie er aufgetaucht war. Er war in ein erotisches Spiel mit einer schwarzen Frau ohne Gesicht verwickelt. Abgesehen von einem hässlichen Vorfall auf einer Reise in die Karibik, wo er eines Tages so betrunken gewesen war, dass er mit einer Prostituierten auf sein Zimmer gegangen war, hatte er nie ein Verhältnis mit einer dunkelhäutigen Frau gehabt. Erhatte auch keine besonders ausgeprägte Sehnsucht danach. Plötzlich war diese dunkle Frau in seinen Träumen aufgetaucht, um nach einigen Monaten wieder zu verschwinden.
Ein Unwetter zog am Horizont auf. Er packte zusammen und ging zurück zum Wagen. Bei Kåseberga fuhr er zum Hafen hinunter und kaufte Räucherfisch. Als er zu Hause ankam, klingelte das Telefon wieder. Es war dieselbe Frau wie zuvor, aber diesmal war die Verbindung besser, und er hörte sofort, dass es nicht Baiba war.
Es war eine Frau, die gebrochen Englisch sprach. »Kurt Wallander?«
»Das bin ich.«
»Ich heiße Lilja. Wissen Sie, wer ich bin?«
»Nein.«
Plötzlich fing die Frau an zu weinen. Sie schrie ihm direkt ins Ohr. Er bekam einen Schrecken.
»Baiba«, schrie sie. »Baiba.«
»Was ist mit ihr? Ja, ich kenne sie.«
»Sie ist tot.«
Wallander fiel die Tüte aus Kåseberga aus der Hand. »Baiba ist tot? Sie war doch vor zwei Tagen noch hier.«
»Ich weiß. Sie war meine Freundin. Aber jetzt ist sie tot.«
Wallander fühlte, wie sein Herz hämmerte. Er setzte sich auf den Schemel neben der Haustür. Liljas verwirrter und aufgeregter Erzählung entnahm er nach und nach, was geschehen war. Baiba war nur noch zwanzig Kilometer von Riga entfernt, als sie mit hoher Geschwindigkeit von der Straße abgekommen und gegen eine Steinmauer geprallt war. Sie war sofort tot, wiederholte Lilja ein ums andere Mal, als wäre das eine Methode, ihn vor der bodenlosen Trauer zu bewahren. Aber es war natürlich vergeblich, er glaubte, eine so starke Verzweiflung, wie sie jetzt in ihm aufwallte, noch nie erlebt zu haben.
Plötzlich wurde das Gespräch abgeschnitten, Wallander hatte nicht einmal Liljas Telefonnummer aufschreiben können.Er blieb auf dem Schemel im Flur sitzen und wartete, dass sie wieder anrief. Erst als ihm klar wurde, dass sie nicht mehr durchkam, stand er auf und ging in die Küche. Die Tüte mit dem Räucherfisch blieb liegen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er zündete eine Kerze an und stellte sie auf den Tisch. Sie musste ohne Unterbrechung gefahren sein, dachte er. Von der Fähre, mit der sie in dem polnischen Hafen angekommen war, durch Polen und Litauen bis nach Riga. War sie am Steuer
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