Wallander 09 - Der Feind im Schatten
In der Stadt standen noch die alten Gebäude. Aber die Schaufenster waren andere, die Fassaden frisch gestrichen, die Bürgersteige ausgebessert. Den auffallendsten Unterschied machten jedoch die Menschen in den Straßen aus, ihre Kleidung, und die Autos, die sich an den Ampeln und an den Einfahrten zu zentralen Parkplätzen drängten.
Ein warmer Regen fiel über Riga an diesem Tag, an dem Wallander zurückkehrte. Lilja, die mit Nachnamen Blooms hieß, hatte angerufen und ihm die Einzelheiten über Baibas Beerdigung mitgeteilt. Das Einzige, was er gefragt hatte, war, ob seine Anwesenheit in irgendeiner Weise als unpassend aufgefasst werden könne.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Es gab vielleicht Verhältnisse in der Familie, die ich nicht kenne.«
»Alle wissen, wer Sie sind«, sagte Lilja Blooms. »Baiba hat von Ihnen erzählt. Sie waren nie ein Geheimnis.«
»Die Frage ist nur, was sie erzählt hat.«
»Warum machen Sie sich solche Gedanken? Ich dachte, Sie liebten sich und würden heiraten. Das haben wir alle erwartet.«
»Sie wollte nicht.«
Er konnte hören, dass seine Worte sie erstaunten.
»Wir dachten, Sie wären derjenige, der sich zurückgezogen hätte. Sie selbst sagte nichts. Es hat lange gedauert, bis wir verstanden, dass es vorbei war. Aber sie wollte eigentlich nie darüber sprechen.«
Es war Linda gewesen, die Wallander darin bestärkte, zur Beerdigung zu fahren. Als er sie anrief, hatte sie sich sofort in den Wagen gesetzt und war gekommen. Sie war so betroffen, dass sie Tränen in den Augen hatte, als sie sein Haus betrat.
Das half ihm, selbst offen um Baiba zu trauern. Er saß lange mit ihr zusammen und erzählte Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. »Ihr Mann, Karlis Liepa, wurde ermordet«, erzählte er. »Es war ein politischer Mord, die Spannungen zwischen Russen und Letten waren damals sehr stark. Ich bin nach Riga gefahren, um zur Aufklärung des Mordes beizutragen. Aber ich war natürlich ahnungslos in Bezug auf die politischen Abgründe, die sich im Land aufgetan hatten. Heute denke ich manchmal, dass ich damals anfing zu verstehen, wie die Welt während des Kalten Krieges eigentlich aussah. Es ist siebzehn Jahre her.«
»Ich erinnere mich noch an deine Reise«, sagte Linda. »Ich ging damals in die Volkshochschule und hatte noch keine Vorstellung, was ich werden wollte. Obwohl ich ganz im Innersten hätte verstehen müssen, dass ich Polizistin werden wollte.«
»Ich meine mich zu erinnern, dass du über alles redetest, nur nicht darüber.«
»Das hätte dich misstrauisch machen müssen. Dass duaber nicht einmal geahnt hast, was in meinem Kopf vorging!«
»Ich habe ja auch nichts von Baiba geahnt, als Karlis Liepa ins Polizeipräsidium von Ystad kam.«
Wallander erinnerte sich vollkommen klar an die Ereignisse von damals. Abgesehen von seinem Kettenrauchen, das heftige Proteste bei allen Nichtrauchern unter den Polizisten auslöste, war Karlis Liepa ein ruhiger, fast unauffälliger Mann, mit dem Wallander sich gut verstand. Eines Abends, während eines starken Schneesturms, hatte er ihn mit nach Hause in die Mariagata genommen. Er hatte Whisky mit ihm getrunken und zu seiner Freude entdeckt, dass Polizeimajor Liepa ein ebenso großer Opernliebhaber war wie er selbst. Sie hatten sich an jenem Abend eine Turandot -Aufnahme mit Maria Callas angehört, während draußen der Schneesturm durch die leeren Straßen fegte.
Aber wo war die Platte jetzt? Sie war nicht bei den Platten gewesen, die er am Tag zuvor auf dem Dachboden gefunden hatte.
Die Antwort erhielt er, als Linda erzählte, sie habe die Platte bei sich zu Hause. »Du hast sie mir geliehen, als ich damals davon träumte, Schauspielerin zu werden. Ich wollte ein Einpersonenstück über das tragische Schicksal der Callas inszenieren. Kannst du dir das vorstellen? Wenn ich einer Frau nicht ähnlich bin, dann einer kleinen und pummeligen griechischen Opernsängerin.«
»Mit schlechten Nerven«, sagte Wallander.
»Was hat Baiba eigentlich gemacht? War sie Lehrerin?«
»Als ich sie traf, übersetzte sie technische Fachliteratur aus dem Englischen. Aber sie hat sich mit vielen Dingen beschäftigt.«
»Du solltest zur Beerdigung fahren. Um deiner selbst willen.«
Es war nicht ganz einfach, aber am Ende überzeugte sie ihn. Sie kümmerte sich auch darum, dass er einen schwarzenAnzug kaufte, begleitete ihn zu dem Geschäft in Malmö und erklärte ihm, als er sich über den Preis wunderte, dass es ein Qualitätsanzug sei,
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