Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Weise Håkan von Enke mit Louises Tod zu tun hatte. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe mir im Innersten vorgestellt, dass er auch tot ist. Zumindest nachdem wir da draußen auf Värmdö seine Frau gefunden hatten.«
»Ich habe gezweifelt«, sagte Wallander. »Aber wenn ich für die Ermittlung verantwortlich wäre, würde ich wahrscheinlich so denken wie du.«
Wallander legte Ytterberg kurz gefasst, aber dennoch detailliert seine Gedanken über von Enkes Versteck dar.
»Die Geheimdokumente, die wir in Louises Handtasche gefunden haben, bringen mich auf einen Gedanken. Da von Enke sich versteckt hält, liegt es nahe zu glauben, dass er auch an der Sache beteiligt ist, dass die beiden also zusammengearbeitet haben.«
»Als Spione?«
»Es wäre ja nicht der erste Fall hierzulande, dass Mann und Frau so etwas machen. Auch wenn vielleicht nur einer von beiden direkt engagiert ist.«
»Du denkst an Stig Bergling und seine Frau?«
»Gibt es denn andere?«
Wallander fand, dass Ytterberg zu einem arroganten Tonfall neigen konnte, den er normalerweise nicht toleriert hätte. Wenn jemand im Polizeipräsidium von Ystad ihm mit ironischen Fragen gekommen wäre, hätte er sich das nicht bieten lassen. Jetzt ließ er Ytterberg gewähren, denn wahrscheinlichwar ihm gar nicht bewusst, wie er sich anhörte. »Weißt du, was die Mikrofilme enthielten? Informationen über militärische Fragen, Kriegsindustrie, Außenpolitik?«
»Nichts davon. Aber mein Eindruck ist, dass die Kollegen von der Geheimpolizei beunruhigt sind. Sie haben jedes einzelne Papier in dieser mageren Ermittlung einzusehen verlangt. Ich selbst bin morgen zu einem Gespräch mit einem Korvettenkapitän Holm einbestellt, der anscheinend ein ziemlich hohes Tier innerhalb des militärischen Nachrichtendienstes ist.«
»Es würde mich interessieren, welche Fragen er stellt.«
»Das ist immer eine gute Methode, zu erfahren, was die Leute schon wissen. Du willst mit anderen Worten wissen, welche Fragen er nicht stellt?«
»Genau.«
»Ich lasse von mir hören. Versprochen.«
Sie wechselten noch ein paar Worte über das Wetter, dann legten sie auf. Wallander zögerte einen Moment, bevor er die Legosteine in den Karton fegte und sich vornahm, alle Gedanken an Håkan von Enke und seine tote Frau für diesen Tag ruhen zu lassen. Schließlich hatte er eine Art Urlaub. Er fuhr nach Ystad, nachdem er einen Einkaufszettel geschrieben hatte. Als er an der Kasse stand und bezahlen wollte, bemerkte er, dass er seine Brieftasche vergessen hatte. Er ließ die Sachen stehen und ging ins Präsidium hinauf, um sich fünfhundert Kronen von Nyberg zu leihen, der gerade im Korridor erschien. Nyberg hatte einen dicken Verband um den Kopf.
»Was ist passiert?«
»Ich bin mit dem Fahrrad gestürzt.«
»Trägst du denn keinen Helm?«
»Leider nicht.«
Wallander merkte, dass Nyberg keine Lust hatte, sich zu unterhalten. Er versprach, ihm das Geld am nächsten Tagzurückzugeben, kehrte in den Laden zurück und fuhr anschließend nach Hause. Am Abend sah er eine Dokumentation über die weltweit wachsenden Müllberge und ging ungewöhnlich früh ins Bett, schon kurz nach elf. Er blätterte eine Zeitung durch und schlief gegen halb zwölf ein. Einmal wachte er vom Schrei eines Nachtvogels auf, vielleicht einer Eule, schlief aber schnell wieder ein.
Er erinnerte sich an den Vogel, als er um sechs Uhr aufwachte und aufstand, weil er sich ausgeschlafen fühlte. Nebel lag über den Äckern. Durchs Schlafzimmerfenster sah er Jussi, der reglos in seinem Zwinger saß, den Blick in die Ferne gerichtet.
Als er jung war, hätte er nie gedacht, dass dies das Leben war, das er mit sechzig führen würde. Eines Morgens am Fenster stehen und in den Nebel über der schonischen Landschaft hinausblicken, in einem eigenen Haus mit Hund, mit einer Tochter, die gerade ihr erstes Kind bekommen hatte, sein Enkelkind. Der Gedanke machte ihn wehmütig. Er schüttelte das Gefühl ab, indem er ins Bad ging und duschte.
Nach dem Frühstück kontrollierte er sorgfältig alle Herdplatten, bevor er mit Jussi hinausging, der wie ein Strich in den Nebelschwaden verschwand. Wallander fühlte sich klarer im Kopf als seit langem, nichts erschien ihm besonders schwierig, seine Lebenslust war stark. Er begann plötzlich, den Feldweg entlangzulaufen und die Schlappheit der letzten Monate herauszufordern. Er lief, bis er ordentlich außer Atem war. Die Sonne wärmte bereits, er zog sich das
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