Wallander 09 - Der Feind im Schatten
kurzer Zeit davon. Wir stellten zahllose Fallen, aber nie tappte jemand hinein.«
»Und Louise?«
»Sie war natürlich über jeden Verdacht erhaben. Werhatte Grund, sie zu verdächtigen? Eine Sprachlehrerin, die Wasserspringen liebte?«
Talboth entschuldigte sich, er müsse nach seinem Aquarium schauen. Wallander fing an, sich Notizen zu machen über alles, was Talboth gesagt hatte. Aber er brauchte nichts zu schreiben, er würde sich auch so erinnern. Er ging in das ihm angewiesene Zimmer und legte sich aufs Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Als er wach wurde, waren zwei Stunden vergangen. Er sprang auf, als hätte er verschlafen. Talboth saß auf dem Balkon und rauchte eine Zigarette. Wallander kehrte zu seinem Stuhl zurück.
»Ich glaube, du hast geträumt«, sagte Talboth. »Auf jeden Fall hast du im Schlaf laut gerufen.«
»Meine Träume sind manchmal wüst«, sagte Wallander. »Sie überfallen mich, wie sie wollen.«
»Davon bin ich verschont«, sagte Talboth. »Ich erinnere mich nie an meine Träume. Und dafür bin ich wirklich dankbar.«
Sie machten einen Spaziergang zu dem italienischen Restaurant, von dem Talboth gesprochen hatte. Während des Essens, zu dem sie Rotwein tranken, unterhielten sie sich weiter über Louise von Enke. Nach dem Essen bestand Talboth darauf, dass sie verschiedene Sorten Grappa probierten, bevor er, mit der gleichen Entschiedenheit, verlangte, die Rechnung zu bezahlen. Wallander fühlte sich angesäuselt, als sie das Restaurant verließen. Talboth steckte sich eine Zigarette an. Er drehte den Kopf zur Seite, wenn er den Rauch ausblies.
»Es ist also viele Jahre her«, sagte Wallander, »dass Oleg Linde von einem weiblichen schwedischen Spion erzählte. Es kommt mir absurd vor, dass die Frau immer noch tätig sein soll.«
»Wenn sie es denn ist«, sagte Talboth. »Vergiss nicht, worüber wir auf dem Balkon gesprochen haben.«
»Wenn die Spionage weitergeht, würde sie das freisprechen«, sagte Wallander.
»Nicht unbedingt. Jemand kann den Staffelstab übernommen haben. In dieser Welt gibt es keine einfachen Erklärungsmuster. Oft ist die Wahrheit das Gegenteil von dem, was man sich vorstellt.«
Sie gingen langsam die Straße entlang. Talboth zündete sich die nächste Zigarette an.
»Das Zwischenglied«, sagte Wallander. »Der, den du als Lieferanten bezeichnet hast. Ist man, was den betrifft, genauso schlau?«
»Er ist nie enttarnt worden.«
»Was natürlich bedeutet, dass es ebenso gut eine Frau sein kann?«
Talboth schüttelte den Kopf. »Frauen sind selten so einflussreich in den Streitkräften oder in der Waffenindustrie. Ich wette meine magere Pension darauf, dass es ein Mann ist.«
Der Abend war schwül. Wallander spürte erste Anzeichen von Kopfschmerzen.
»Gibt es in dem, was ich dir erzählt habe, etwas, was dich besonders erstaunt?«, fragte Talboth abwesend, hauptsächlich, um das Gespräch in Gang zu halten.
»Nein.«
»Hast du eine Schlussfolgerung gezogen, die von meinen abweicht?«
»Nein. Jedenfalls glaube ich es nicht.«
»Was sagen die Kriminalbeamten, die im Fall von Louises Tod ermitteln?«
»Ihnen fehlt jede Spur. Es gibt keinen Täter, kein Motiv. Abgesehen davon, dass man im Geheimfach ihrer Tasche Mikrofilme gefunden hat.«
»Das ist wohl Beweis genug dafür, dass sie die Spionin ist. Vielleicht ist etwas schiefgelaufen, als sie das Material übergeben wollte?«
»Das ist eine plausible Erklärung. Ich vermute, dass die Polizei nach dieser Theorie arbeitet. Aber was ist schiefgelaufen? Mit wem hat sie sich getroffen? Und warum geschieht das gerade jetzt?«
Talboth blieb stehen und trat seine Zigarettenkippe aus. »Es ist trotz allem ein Riesenschritt nach vorn«, sagte er. »Jetzt ist es erwiesen. Man kann die ganze Ermittlung auf Louise konzentrieren. Wahrscheinlich wird man über kurz oder lang auch den Mittelsmann finden.«
Sie blieben vor der Haustür stehen. Talboth tippte den Türcode ein.
»Ich brauche Luft«, sagte Wallander plötzlich. »Ich bin ein eingefleischter alter Nachtwanderer. Ich geh noch eine Weile weiter.«
Talboth nickte, nannte ihm den Code und verschwand. Wallander sah die Tür lautlos ins Schloss fallen. Dann ging er die menschenleere Straße entlang. Das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, drängte sich ihm von Neuem auf. Es war das gleiche Gefühl, das er gehabt hatte, als er nach der Nacht mit Håkan von Enke die Insel verließ. Er dachte an Talboths Worte, dass die
Weitere Kostenlose Bücher