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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Wahrheit oft das Gegenteil dessen sei, was man erwarte. Manchmal musste die Wirklichkeit auf den Kopf gestellt werden, um auf die Füße zu kommen.
    Wallander hielt inne und drehte sich um. Die Straße lag noch immer menschenleer da. Aus einem offenen Fenster war Musik zu hören. Deutsche Schlagermusik. Er schnappte die Wörter leben , eben und neben auf. Er ging weiter, bis er zu einem kleinen Platz gelangte. Ein paar Jugendliche knutschten auf einer Bank. Ich könnte mich hier hinstellen und rufen, dachte er. Ich begreife nicht, was vor sich geht . Das könnte ich rufen. Sicher weiß ich nur, dass irgendetwas mir entgeht und sich nicht einfangen lässt. Zumindest nicht von mir. Nähere ich mich der Lösung, oder entferne ich mich von ihr? Wenn ich das wüsste.
    Er wanderte noch eine Weile über den Platz, immer müder. Als er in die Wohnung zurückkam, schien Talboth ins Bett gegangen zu sein. Die Balkontür war geschlossen. Wallander zog sich aus und schlief bald ein.
    In der Nacht liefen wieder Pferde durch seine Träume. Aber als er am Morgen erwachte, erinnerte er sich nicht mehr an Einzelheiten.

 
37
     
    Als Wallander die Augen aufschlug, wusste er zuerst nicht, wo er war. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war sechs Uhr. Er blieb liegen. Durch die Wand meinte er das Pfeifen der Maschinen zu hören, die die Sauerstoffzufuhr für das Wasser in dem großen Aquarium regelten. Ob die Züge fuhren oder nicht, konnte er nicht hören. Sie fristeten in ihren gut isolierten Tunneln ein lautloses Dasein. Wie Maulwürfe, dachte er. Aber auch wie Menschen, die sich eingeschlichen haben in die Korridore, wo geheime Beschlüsse gefasst werden. Beschlüsse, die sie stehlen und weiterleiten zu der Seite, die in Unkenntnis gehalten werden sollte.
    Er stand auf und hatte es plötzlich eilig, wegzukommen. Er duschte nicht einmal, sondern zog sich gleich an und ging in die weitläufige, helle Wohnung. Die Balkontür stand offen, die dünnen Gardinen wehten leicht im Wind. Talboth saß auf seinem Stuhl und hielt eine Zigarette in der Hand. Vor ihm stand eine Kaffeetasse. Er wandte sich langsam zu Wallander um. Es war, als hätte er ihn schon kommen hören, bevor er die Tür erreichte. Er lächelte. Wallander dachte plötzlich, dass er diesem Lächeln nicht traute.
    »Ich hoffe, du hast gut geschlafen?«
    »Das Bett ist gut«, erwiderte Wallander. »Das Zimmer war dunkel und ruhig. Aber jetzt möchte ich mich bedanken und abfahren.«
    »Du gibst Berlin also keinen Tag zusätzlich? Ich könnte dir vieles zeigen.«
    »Ich würde gern bleiben. Aber es ist besser, wenn ich jetzt nach Hause fahre.«
    »Ich nehme an, dein Hund kann nicht so lange ohne Betreuung bleiben?«
    Woher weiß er, dass ich einen Hund habe?, durchzuckte es Wallander. Ich habe es nicht erwähnt.
    Er hatte das vage Gefühl, dass Talboth sofort merkte, wie er sich verplappert hatte.
    »Ja«, sagte Wallander. »Du hast recht. Ich kann die Bereitwilligkeit meiner Nachbarn, sich um Jussi zu kümmern, nicht über Gebühr beanspruchen. Den ganzen Sommer war ich ständig unterwegs. Außerdem habe ich ja ein Enkelkind, mit dem ich möglichst viel zusammen sein möchte.«
    »Es freut mich, dass Louise ihr Enkelkind noch erlebt hat«, sagte Talboth. »Kinder sind die eine Sache. Mit den Enkelkindern aber kommt ein Gefühl von noch größerem Sinn, von Vollendung. Wenn die Kinder einen Hauch von Sinn über unser Dasein werfen, sind die Enkelkinder noch einmal eine Bekräftigung. Hast du ein Foto mitgebracht?«
    Wallander zeigte die beiden Fotos, die er mitgenommen hatte.
    »Ein schönes Kind«, sagte Talboth und stand auf. »Du musst aber auf jeden Fall frühstücken, bevor du fährst.«
    »Nur Kaffee«, sagte Wallander. »Ich esse morgens nichts.«
    Talboth schüttelte sorgenvoll den Kopf. Aber er kam mit Kaffee zurück auf den Balkon, schwarz, wie Wallander ihn immer trank.
    »Du hast gestern etwas gesagt, was mich nachdenklich gemacht hat«, sagte Wallander.
    »Ich habe bestimmt viel gesagt, über das du dich gewundert haben dürftest.«
    »Du hast gesagt, dass man die Erklärung manchmal genau in der entgegengesetzten Richtung zu der finden kann, in der man sucht. Meintest du das ganz allgemein, oder hattest du etwas Bestimmtes im Sinn?«
    Talboth überlegte einen Moment. »Ich erinnere michkaum an das, was du gerade ansprichst«, antwortete er. »Aber wenn ich etwas in der Art gesagt habe, dann war es eher ganz allgemein.«
    Wallander nickte. Er glaubte

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