Wallander 09 - Der Feind im Schatten
sein, irgendwann im Herbst. Wallander hatte als Bote für ein Blumengeschäft in Malmö gearbeitet. Eines Samstags hatte er den Auftrag bekommen, schnell wie der Blitz einen Blumenstrauß in den Folkets Park zu bringen. Dort hielt Ministerpräsident Tage Erlander eine Rede, und am Schluss sollte ein kleines Mädchen einen Blumenstrauß überreichen. Das Problem war nur, dass einer der Verantwortlichen in der Arbeiterpartei geschlampt und keine Blumen bestellt hatte. Jetzt war es also eilig. Hatte er verstanden? Wallander trat in die Pedale, so schnell er konnte. Das Blumengeschäft hatte ihn angekündigt, und er wurde sofort durchgelassen, die Blumen wurden ausgewickelt, und das Mädchen, das sie überreichen sollte, nahm sie in die Hand. Wallander bekam sogar fünf Kronen Trinkgeld. Außerdem wurde ihm eine Limonade angeboten, und er stand da mit dem Strohhalm im Mund und hörte dem hoch gewachsenen Mann am Rednerpult zu, der mit einer eigentümlich nasalen Stimme sprach. Er hatte schwierige Wörter gewählt, die Wallander fremd waren. Er hatte von Entspannung gesprochen, vom Recht der kleinen Nationen, von Schwedens selbstverständlicher Neutralität und Freiheit von allen möglichen Pakten und Allianzen. So viel hatte Wallander jedenfalls verstanden.
Als er am Abend nach Hause kam, war er in das Zimmer gegangen, das sein Vater als Atelier nutzte. Sonderbar, er konnte sich noch daran erinnern, dass sein Vater gerade an jenem Abend eine mit Schablone aufgetragene Waldlandschaft ausmalte, die den Hintergrund seines ewig wiederholten Motivs bildete. In den frühen Teenagerjahren hatten Wallander und sein Vater guten Kontakt zueinander. Vielleicht war es die beste Zeit ihres gemeinsamen Lebens. Noch waren es drei, vier Jahre, bis Wallander nach Hause kommen und seinem Vater eröffnen sollte, dass er Polizist werden wollte. Der Vater hatte ihn damals fast aus dem Haus geworfen, auf jeden Fall hatte er längere Zeit nicht mit ihm geredet.
Wallander hatte sich auf seinen Schemel gesetzt und seinem Vater vom Besuch im Folkets Park erzählt. Der Vater grummelte oft, dass er sich nicht für Politik interessiere. Aber Wallander hatte mit der Zeit erkannt, dass das überhaupt nicht stimmte. Er wählte treu die Sozialdemokraten, hegte ein bissiges Misstrauen gegen die Kommunisten und beschuldigte die bürgerlichen Parteien, immer nur die Menschen zu bevorteilen, denen es sowieso schon gutging.
Plötzlich erinnerte sich Wallander beinahe Wort für Wort an das Gespräch, das sie geführt hatten. Sein Vater hatte sich schon oft mit vorsichtig lobenden Worten über Erlander geäußert und gemeint, dass er ein ehrlicher Mann sei, dem man im Gegensatz zu vielen anderen Politikern vertrauen könne.
»Er hat gesagt, Russland wäre unser Feind«, sagte Wallander.
»Das ist nicht ganz richtig. Es könnte vielleicht nicht schaden, wenn unsere Politiker auch einmal darüber nachdächten, welche Rolle die USA heute spielen.«
Wallander war verblüfft. Amerika stand doch für das Gute? Hatten sie nicht Hitler und sein Tausendjähriges Reich gestürzt? Aus Amerika kamen die Filme, die Musikund die Kleidung. Für Wallander war Elvis Presley der Größte und sein Song Blue Suede Shoes gerade der beliebteste. Zwar hatte er aufgehört, Filmstars zu sammeln, aber solange er es getan hatte, war Alan Ladd sein erklärter Liebling, nicht zuletzt wegen seines raffinierten Nachnamens. Und jetzt gab sein Vater eine diskrete Warnung vor Amerika von sich. Gab es etwas, was er nicht wusste?
Wallander hatte die Worte des Ministerpräsidenten wiederholt. Schwedens Freiheit von allen Pakten und Allianzen, die selbstverständliche Neutralität des Landes . »Ach«, hatte sein Vater entgegnet, »hat er das gesagt? In Wirklichkeit fliegen die amerikanischen Düsenflugzeuge durch den schwedischen Luftraum. Wir proklamieren formell die Freiheit von Allianzen und stecken gleichzeitig mit der Nato und vor allem Amerika unter einer Decke.«
Wallander fragte seinen Vater, was er damit meine. Aber er erhielt keine Antwort, nur ein fast unhörbares Gemurmel und dann die Aufforderung, ihn in Ruhe zu lassen. »Du stellst zu viele Fragen.«
»Hast du nicht immer gesagt, ich sollte keine Scheu haben, dich zu fragen, wenn ich etwas nicht verstehe?«
»Irgendwo gibt es eine Grenze.«
»Und wo ist die?«
»Hier, gerade jetzt. Ich male verkehrt.«
»Wie kann das sein? Du malst doch immer dasselbe Motiv, schon länger als ich lebe.«
»Geh jetzt! Lass mich in
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