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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Kaffeeautomaten. Gerade als sein Becher voll war, tauchte Lennart Mattson hinter ihm auf. Wallander hatte seinen Chef lange nicht gesehen, und er hatte ihn auch nicht vermisst. Lennart Mattsonwar braungebrannt und hatte abgenommen, was Wallander neidisch machte und ärgerte.
    »Schon hier?«, sagte Lennart Mattson. »Du kannst es dir nicht verkneifen? Die Arbeit lockt? So soll es sein. Ohne Leidenschaft wird man kein guter Polizist. Ansonsten hast du erst Montag wieder Dienst?«
    »Ich bin auf dem Weg nach Hause«, sagte Wallander. »Ich brauchte ein paar Papiere aus meinem Zimmer.«
    »Hast du etwas Zeit? Ich habe erfreuliche Nachrichten, die ich gern mit jemandem teilen möchte.«
    »Ich habe Zeit ohne Ende«, gab Wallander zurück und war sicher, dass Lennart Mattson die Ironie sowieso nicht mitbekam.
    Sie gingen ins Büro des Polizeipräsidenten. Wallander setzte sich in einen der Besuchersessel.
    Lennart Mattson nahm eine Mappe von dem tadellos aufgeräumten Schreibtisch in die Hand. »Erfreuliche Nachrichten, wie ich schon sagte. Wir hier unten in Schonen haben eine der besten Aufklärungsraten im ganzen Land. Wir lösen mehr Fälle als die meisten anderen. Wir haben nicht nur das beste Ergebnis, sondern auch die höchste Zunahme, verglichen mit dem Vorjahr. Das hier ist genau das, was wir brauchen, um uns weiter anzustrengen.«
    Wallander hörte seinem Chef zu. Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln, dass das, was er da hörte, wirklich in dem Bericht stand. Aber Wallander wusste auch, dass die Interpretation von Statistiken einem Jonglieren mit den Ellenbogen gleichkam. Es war immer möglich, eine Statistik zu erstellen, die wahr und verlogen zugleich war. Dass die allgemeine Aufklärungsrate der schwedischen Polizei zu den niedrigsten in der westlichen Welt gehörte, war Wallander und seinen Kollegen schmerzlich bewusst. Es glaubte auch keiner von ihnen, dass der Tiefpunkt bereits erreicht war. Die negative Entwicklung würde sich fortsetzen. Bürokratische Umwälzungen brachten einen ständig wachsendenStrom unaufgeklärter Verbrechen mit sich. Funktionierende Polizeieinheiten wurden abgeschafft oder so lange umstrukturiert, bis sie nicht mehr arbeiten konnten. Es wurde wichtiger, statistische Ziele zu erreichen, als wirklich Verbrechen aufzuklären und Täter vor Gericht zu bringen. Außerdem war Wallander, wie die meisten seiner Kollegen, der Meinung, dass falsche Prioritäten gesetzt wurden. An dem Tag, an dem die schwedische Polizeiführung beschlossen hatte, »Kleinkriminalität« zu tolerieren, war den letzten Resten eines vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Polizei und Bevölkerung der Boden entzogen. Der normale Bürger konnte nicht tolerieren, dass sein Auto, seine Garage oder sein Sommerhaus aufgebrochen wurden. Die Bürger wollten, dass auch diese kriminellen Taten aufgeklärt oder zumindest untersucht wurden.
    Aber er hatte natürlich keine Lust, jetzt mit Lennart Mattson darüber zu diskutieren. Es würde im Herbst schon noch genug Gelegenheiten für Gespräche geben.
    Lennart Mattson legte den Bericht zurück und betrachtete seinen Besucher mit plötzlich sorgenvoller Miene. Seine Stirn war feucht. »Wie geht es dir eigentlich? Du siehst blass aus. Warum bist du nicht draußen an der Sonne?«
    »Welcher Sonne?«
    »Der Sommer war doch nicht so schlecht. Ich selbst bin nach Kreta geflogen, um sicher zu sein, gutes Wetter zu haben. Kennst du den Palast von Knossos? Fantastische Delphine an den Wänden dort.«
    Wallander stand auf. »Mir geht es gut«, sagte er. »Aber weil heute ein wenig die Sonne scheint, werde ich deinen Rat befolgen und das schöne Wetter draußen genießen.«
    »Keine vergessenen Waffen irgendwo?«
    Wallander starrte Lennart Mattson an. Es fehlte nicht viel, und er hätte zugeschlagen.
     
    Wallander ging zu seinem Zimmer zurück, setzte sich, legte die Füße auf den Tisch und schloss die Augen. Er dachte an Baiba. Und an Mona, die zitternd in der Entzugsklinik saß. Während sein Chef sich an einer Statistik ergötzte, die mit Sicherheit nicht die Wahrheit wiedergab.
    Er nahm die Füße vom Tisch. Einen Versuch mache ich noch, dachte er. Einen Versuch, zu verstehen, warum ich die ganze Zeit an meinen Schlussfolgerungen zweifle. Ich wünschte, ich hätte einen besseren Einblick in politische Zusammenhänge, dann wäre ich nicht so verwirrt.
    Plötzlich fiel ihm ein Ereignis ein, an das er im Erwachsenenalter nicht wieder gedacht hatte. Es musste 1962 oder 1963 gewesen

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